Fahrerlos durch den Moloch der Stadt
Was auf der Autobahn bereits ein Leichtes zu sein scheint, avanciert in der Stadt zur Kür: Autonomes Fahren inmitten von Baustellen, Fußgängern, Bussen und Bahnen ist trickreich.
Petra S. hält die Einkaufstüten fest in der Hand. Ein digitaler Pfiff über ihre Smartwatch, und das kleine E-Mobil rollt an. Während Petra entspannt shoppte, fuhr ihr Auto eigenständig zum Parkhaus – so wie Hunderte andere auch. Dort gab es erst mal großes Getuschel unter den Fahrzeugen. Der Audi verhandelte mit dem Renault, während der Volkswagen dazwischenfunkte. Die Luxuslimousine erhielt den großen Stellplatz, die beiden Kleinwagen teilten sich einen kleineren. Mögliche Platzersparnis laut der Urban Future Initiative von Audi: 62 %. Hier wird optimal geparkt, besser, als der begabteste Mensch es kann. Nur 10 cm liegen zwischen den Türen des Renault und des Volkswagen. Zur Decke noch weniger
Eine Zukunftsvision des autonomen Fahrens, aber das optimierte Parkhaus ist nur eine von vielen möglichen Anwendungen. Bis Autos – wie das kleine E-Mobil von Petra S. – sich selbstständig ihren Weg durch das Straßengewirr bahnen und ein Plätzchen zum Verweilen suchen, ist es noch ein weiter Weg.
Dennoch arbeiten Zulieferer wie Conti und Bosch, Autohersteller wie Daimler, BMW, Audi oder VW, aber auch Mobilfunker wie Telekom und Vodafone sowie IT-Spezialisten wie IBM und Google fieberhaft an Lösungen. Selbst Hersteller von Straßenschildern, Kommunalverwaltungen, Stadtwerke und der öffentliche Nahverkehr sind an Bord. Und damit nicht genug: In Deutschland haben sich jetzt neun Städte aufgemacht, um das autonome Fahren auf ihre Straßen zu bringen.
Aber warum das Ganze? Marcus Rothoff, Autonomous Driving Director von Volvo, weiß: „Das autonome Fahren eröffnet Chancen für Sicherheit, Verkehrsfluss und einen geringeren Benzinverbrauch.“ Das immer wiederkehrende Argument der Protagonisten: Über 90 % aller Unfälle werden durch menschliche Fehler verursacht. Zusätzlich plagt der Verkehrsinfarkt die Städte und Autofahrer zunehmend. Stundenlanges Stop-and-go und mühsame Parkplatzsuche sollen ebenso der Vergangenheit angehören wie das Verstopfen von Bus- und Straßenbahnwegen.
Doch die Stadt ist zickig. „Für die Technik hält sie viele Herausforderungen bereit“, weiß Johanna Häs, Kommunikationschefin des FZI Forschungszentrums Informatik. „Sie hat Kreuzungen, Ampeln, Tempo-30-Zonen, aber auch Fußgänger, Radfahrer oder Müllwagen. Da blockiert ein Paketbote die Fahrbahn, da gibt es Baustellen.“ Um dem allen Herr zu werden, bauen Häs und ihre Kollegen in Karlsruhe ein Testfeld auf.
Auf den städtischen Versuchsstrecken werden Autos, gespickt mit Lasertechnik, Radar, Kameras, Ultraschallsensoren und jeder Menge Rechenkapazität, unterwegs sein. Konzeptfahrzeuge, die noch weit entfernt von künftigen autonomen – vollautomatisierten – Alltagsfahrzeugen sind, wie man bei Conti weiß. Wo heute Assistenzsysteme wie Bremsassistenz, Spurhalter und Einparkhilfen den Fahrern unter die Arme greifen, soll in einigen Jahren das Automobil völlig selbstständig agieren. Die Industrie hält einen vagen Zeitplan bereit, der sich ständig den aktuellen technischen Entwicklungen anpassen muss.
„Das Auto muss viel interpretieren. Bewegt sich ein Körper nach vorne, soll es vorausschauend erkennen, dass ein Fußgänger queren möchten“, erklärt Häs. „Wenn es darum geht, Situationen zu verstehen, dann ist der Mensch der Maschine überlegen“, glaubt die Wirtschaftsingenieurin. „Wenn ein Pappkarton auf der Fahrbahn liegt, dann weiß das der Mensch, aber das Auto nicht.“ Mit Künstlicher Intelligenz dürfte der Verstand von Automobilen geschärft werden.
Mehr noch: Auch die Infrastruktur – Ampeln, Verkehrsschilder, Straßenlaternen – müssen smart werden. Was in Las Vegas schon Realität ist, gibt es demnächst auch in Testfeldern in Düsseldorf, Kassel oder Braunschweig: Autos kommunizieren über WLAN und Mobilfunk mit der Infrastruktur und umgekehrt. Doch hier gehen die Meinungen der Experten auseinander. Während die Automobilbranche so viel wie möglich dem Fahrzeug überlassen will, setzen die Städte verstärkt auf intelligente Infrastruktur.
Patric Stieler, Abteilungsleiter im Düsseldorfer Amt für Verkehrsmanagement, setzt auf Standardisierung. Laut dem Vertreter der Rheinmetropole braucht es für die Vernetzung einen Zugriff auf den „Mobilitäts Daten Marktplatz“ der Bundesanstalt für Straßenwesen, über den Daten, z. B. über Baustellen, unkompliziert und standardisiert zwischen allen Beteiligten – öffentliche Hand und private Diensteanbieter – ausgetauscht werden. Das Onlineportal existiert seit 2012. Nur mithilfe dieser Daten könne, so Stieler, beispielsweise die Beschleunigung des öffentlichen Personennahverkehrs klappen. Da fordern Straßenbahnen dann in Echtzeit grüne Welle an. Automobile erhalten entsprechende Rückmeldungsempfehlungen zum Fahrverhalten in ihr Cockpit. „Schon jetzt messen rund 100 Sensoren das Verkehrsgeschehen in Düsseldorf. Demnächst sollen die Ampeln mit WLAN ausgerüstet werden. Neueste Mobilfunktechnik käme hinzu“, erklärt Stieler. 5G mit seinem Echtzeitpotenzial müsste es sein. Doch das lässt noch auf sich warten.
Mit Optimismus schaut Häs dennoch in die Zukunft: „Das autonome Fahren werden wir in der Stadt früher sehen als erwartet.“ Weniger beim Individualverkehr als vielmehr in Parkhäusern, beim Carsharing oder beim Shuttleverkehr.
Auf dem Euref-Campus in Berlin-Schöneberg fährt Olli, der fahrerlose Minibus des US-Start-ups Local Motors, bereits. Geht es nach den Plänen der Deutschen Bahn, dann soll er von dort ein paar Kilometer zum Bahnhof Südkreuz pendeln. Gepaart mit der kognitiven Watson-Technik von IBM, erhöht sich das Sprachverständnis des Busses. Wenn Petra S. ihre Shoppingtour beendet hat, könnte sie sich so auf Ansage der Adresse auch individuell von einem Bus nach Hause kutschieren lassen. Schöne, entspannte neue Welt.
Vor zu viel Euphorie warnen heute schon einige Experten. Verkehrsforscher Michael Schreckenberg von der Uni Duisburg beispielsweise. Im städtischen Fahren durch München sämtliche Verkehrsregeln einzuhalten, sei nahezu unmöglich, erklärte er dem Bayerischen Rundfunk. Speziell der Mischverkehr – also autonome Fahrzeuge und solche, die technisch nicht hochgerüstet sind – bereiten dem Experten Sorgen. Seiner Meinung nach werden zunächst spezielle Strecken fürs autonome Fahren freigegeben.
Hinter vorgehaltener Hand seien laut Berater Andreas Kossek auch hochrangige Experten aus der Automobilindustrie noch nicht vom vollautomatisierten Fahren in der Stadt überzeugt. MIT-Roboterforscher David Mindell warnt: Vollautonome Fahrzeuge müssten sämtliche Hindernisse in ihrer unmittelbaren Umgebung rechtzeitig und korrekt indentifizieren, die Software dafür müsste absolut einwandfrei funktionieren. Das sei ein unrealistisches Szenario.