Automobil 18. Dez 2023 Von Martin Ciupek Lesezeit: ca. 7 Minuten

Nachhaltigkeit im Automobilbau: SUV, Van oder Kleinwagen?

In Update-Fabriken könnten Autos in Zukunft automatisiert aufgewertet werden. Doch Automobilhersteller tun sich mit solchen Konzepten schwer. Im zweiten Teil unseres exklusiven Expertengesprächs geht es um die Modellwahl, Leichtbau und Recycling.

Basis für updatefähige Fahrzeuge soll ein Aluminiumrahmen sein. Dieser wurde auf dem Aachener Werkzeugmaschinen Kolloquium 2023 als Projekt "Open Source Car Architecture Research" (Oscar) vorgestellt.
Foto: Martin Ciupek

Als Günther Schuh, Professor für Produktionsmanagement an der RWTH Aachen, im Mai 2023 auf dem Aachener Werkzeugmaschinen Kolloquium (AWK) sein Konzept für updatefähige Pkw und eine professionelle Upgrade-Fabrik vorstellte, warf das bei Automobilexperten einige Fragen auf. In einer exklusiven Diskussionsrunde gehen wir auf wichtige Fragen ein. Im ersten Teil der Diskussion ging es vor allem um die Attraktivität solcher Fahrzeuge für die Kunden sowie Fragen zur Plattform, die 50 Jahre halten soll. Im zweiten Teil (von zwei) gibt Schuh Einblicke, was er aus seinem Elektro-Kleinwagen-Start-up e.GO gelernt hat. Außerdem geht es um Bauweisen, Leichtbau sowie Recycling.

Teil 1 der Diskussion: Update statt Neuwagen?

Warum entsteht ein updatefähiger SUV statt eines bezahlbaren Kleinwagens?

Schuh zeigt sich aufgrund seiner Erfahrungen bei der Entwicklung des Elektro-Kleinwagens e.GO Mobile kämpferisch: „Ich bin meines Wissens der Einzige, der seit Porsche vor 75 Jahren einen Pkw in Deutschland als unabhängiges Start-up bis zur Serienhomologation gebracht hat“, berichtet er. Bei Tesla habe man die anfangs einfachere Zulassung in den USA genutzt und konnte sich bei der Homologation in Europa dann darauf stützen.

„Die deutsche Automobilindustrie präsentiert sich zwar in vielen Dingen als innovativ, aber wenn es um was Grundsätzliches geht, heißt es gerne: Hannemann, geh du voran“, sagt Günther Schuh, Professor an der RWTH Aachen. Foto: WZL/Denise Krentz

Schuh: „Die deutsche Automobilindustrie präsentiert sich zwar in vielen Dingen als innovativ, aber wenn es um was Grundsätzliches geht, heißt es gerne: Hannemann, geh du voran!“ Er fügt hinzu: „Und ich wäre gerne manchmal dieser Hannemann.“ Dazu habe er sich jedoch zunächst von dem Kleinwagensegment verabschieden müssen, das er zuvor noch mit dem Elektro-Kleinwagen e.GO verfolgt hatte. Denn die Größe helfe hier, den Preispunkt besser definieren zu können. Deshalb entwickle er unter der Marke e.Volution nun einen Cross-Over zwischen einem Van und einem Off-Roader.

Damit liefert er indirekt auch eine Begründung, warum immer weniger erschwingliche Kleinwagen gebaut werden. Kleinwagen haben sowieso ein kleinere Marge und tragen genauso wie große Fahrzeuge regelmäßig die Mehraufwände für Sicherheits- und Umweltfeatures. Bei e.GO habe letztlich die Umweltprämie der Bundesregierung den Businessplan gekippt. Sie habe das vorher gut funktionierende Fördersystem des pönalisierten Flottenverbrauchs übersteuert. „Ein Hersteller von nur Elektro-Kleinwagen, der z. B. mit einer Marge von 1000 € pro Fahrzeug rechnet, kann sich nicht mit 3000 € pro Fahrzeug an einer Umweltprämie des Bundes beteiligen“, macht Unternehmensgründer Schuh deutlich.

Lesen Sie dazu auch: In Deutschland kommen die falschen Elektroautos auf den Markt

Exemplarisch für diese branchenweite Entwicklung nennt er zudem Ford: „Der Fiesta in Köln wird schon seit einigen Jahren mit etwa 3000 € Verlust produziert. Ford hat den deshalb produzieren müssen, weil das Unternehmen dadurch im Flottenverbrauch in den Zielkorridor kam, um dann ein Großfahrzeug mit 8000 € oder 9000 € Marge verkaufen zu können.“ Jetzt werde die Regulierung übersteuert. Die zu hohen Kosten von Elektro-Kleinwagen seien deshalb nicht nur dem Mehraufwand des Elektroantriebs geschuldet. „Deswegen ist mein Ansatz auch nicht nur ein ökologischer. Ich möchte die Inflation von Autos brechen und zu einer Deflation kommen“, hebt Schuh hervor.

Jens Andersen, ehemalige Chefstratege für die Antriebsentwicklung der Marke Volkswagen, bestätigt diese Einschätzung: „Ertragsstarke Fahrzeuge für das Premiumsegment lassen sich nur sehr schwer ohne das zwar ertragsschwache, aber essenzielle Volumensegment darstellen, denn das Premiumsegment nutzt die Synergieeffekte mit dem Volumengeschäft.“ So wäre zum Beispiel die Marke Bentley über den Continental GT ohne die direkte Unterstützung der Marke VW nicht auf den großen Erfolgskurs gebracht worden. Auch einen ergebnisstarken Porsche Cayenne oder Macan hätte es ohne einen VW Touareg oder Audi Q5 nicht gegeben. Für batterieelektrische Fahrzeuge gelte die Methodik der Ergebnismaximierung durch Synergien ebenso.

Die Bahn, so wie wir sie heute vorfinden, ist in Deutschland gegenüber dem Pkw nicht wettbewerbsfähig“, sagt Jens Andersen, der viele Jahre als Chefstratege und Produktmanager für die Antriebsentwicklung bei der Marke Volkswagen verantwortlich war. Foto: Privat

Mittlerweile versuche man laut Andersen auch bei VW wieder, zumindest das Volumensegment mit batterieelektrischen Fahrzeugen weiterhin abzudecken. Das sei wichtig, um die Individualmobilität in der Breite auch morgen in Europa sicher zu stellen. Mit Blick auf den öffentlichen Verkehr sagt er: „Die Bahn, so wie wir sie heute vorfinden, ist in Deutschland gegenüber dem Pkw nicht wettbewerbsfähig.“ Und sie werde es auch für die nächsten Jahre nicht werden. In diesem Punkt zeigt sich die Expertenrunde einig.

Updatefähigkeit für die neue Fahrzeugklasse M0

Experten im VDI diskutieren derzeit über eine neue Fahrzeugklasse, die M0. Sie soll mehr Sicherheit und Komfort bieten als leichte Kraftfahrzeuge der Klasse L, aber unterhalb von Kleinkraftwagen angesiedelt werden. Grafik: Jan Friedhoff

Für Rodolfo Schöneburg, den Vorsitzenden des Fachbeirats Kraftfahrzeugtechnik im VDI, ergibt sich daraus ein neuer Ansatzpunkt: „Wir beschäftigen uns in der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik gerade sehr intensiv mit so einer neuen Fahrzeugklasse M0, also Kleinstfahrzeugen unter der Größe eines Smart, die rein für den urbanen Betrieb ausgelegt sein sollen.“ Deren Sicherheitsanforderungen seien angepasst an die Bedürfnisse in der städtischen Umgebung, z. B. für eine maximale Fahrzeuggeschwindigkeit von 100 km/h. Aus seiner Sicht könnte ein solches Updatekonzept dafür interessant sein.

Ein Updatekonzept könnte aus Sicht von Rodolfo Schöneburg, dem Vorsitzenden des VDI-FVT, auch für eine künftige Fahrzeugklasse unterhalb der Größe eines Smart interessant werden. Foto: rodolfo@rschoeneburg.de

„Die Anforderungen dieser neuen, kleinen Fahrzeugklasse M0 sind bei diesen spezifischen Betriebsbedingungen an einigen Stellen etwas geringer als bei den normalen Pkw der Zulassungsklasse M1 mit bis zu 3,5 t Gewicht, so die Ergebnisse einer gerade durchgeführten Unfallanalyse der Verkehrsunfallforschung Dresden. Vielleicht schätzt der Kunde an der Stelle auch das Thema Langlebigkeit eher als die Käufer von Premiumfahrzeugen, für die insbesondere das Fahrzeugdesign eine sehr wichtige Rolle spielt“, merkt er an.

Eine Frage des Gewichts: Rahmenbauweise soll Updatefähigkeit der Autos gewährleisten

Upgradefähig soll das Fahrzeug unter anderem durch ein Referenzchassis aus Aluminiumprofilen werden. Oscar – Open Source Car Architecture Research – nennt Produktionswissenschaftler Schuh das Projekt hinter dem Konzept. Durch die „Renaissance der Differenzialbauweise im Automobilbau“, das heißt, die Trennung von Chassis und Body wie vor 50 Jahren beim Käfer soll die Lebensdauer des Chassis mit den gleichen Ressourcen um das 5-Fache erhöht werden. „Ich kann bei entsprechender Schweißgüte mit einer passenden Aluminiumlegierung ohne Oberflächenbehandlung eine Dauerfestigkeit von über 50 Jahren hinbekommen ‒ und so eine entsprechend hohe Lebensdauer des Großteils des Fahrzeugs“, argumentiert Schuh.

Thomas Hambrecht, Leichtbauspezialist bei der Audi AG, verweist auf aktuelle Fertigungskonzepte für Geländefahrzeuge mit Leiterrrahmen. Diese seien damit prinzipiell auch updatefähig. Foto: Audi

Thomas Hambrecht, Leiter Leichtbau und Karosserie bei Audi, erinnert das an das aktuelle Fertigungskonzept von Geländefahrzeugen. Geländewagenhersteller nutzen bereits einen Leiterrahmen mit Antriebsstrang, auf dem der Rest des Fahrzeugs aufgebaut werde. „Würde man dort die Anbauteile alle fünf bis sechs Jahre auswechseln, hätte man damit auch ein updatefähiges Fahrzeug“, folgert Hambrecht.

Aufgrund der Anforderungen an Geländefahrzeuge sind heute klassische Leiterrahmen aus Stahl. Auf die Frage, welche Rahmenart für Pkw besser geeignet sei, urteilt er: „Wie man den Leiterrahmen bauen würde, ob aus Blechen, aus Strangpressprofil oder aus Guss, das ist für mich sekundär.“ Das hänge vom jeweiligen Ziel ab. Technisch können Großgussteile nicht in jedem Bereich des Fahrzeugs die leichteste Lösung sein. Teslas Ziel sei beispielsweise nicht der Leichtbau, sondern die Vereinfachung der Serienproduktion. Um möglichst schnell zu sein und viel automatisieren zu können, gieße Tesla große Teile des Fahrzeugs. Bei einer Leiterrahmenbauweise wäre somit auch eine automatisierte Montage möglich.

Warum es für die Automobilbranche sinnvoll sein kann, die bisherigen Produktionsabläufe zu überdenken, zeigt ein Video von Teslas 4. Investor Day in diesem Jahr. Darin geht es um die von Hambrecht genannten Ansätze der Prozessoptimierung.

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In Bezug auf den Leichtbau räumt auch Schuh ein, dass er mit seiner Aluminiumrahmenstruktur nicht so leicht bauen könne, wie das beispielsweise Audi mit seiner Multimaterialbauweise gelinge. Er sagt aber: „Gewicht ist für Elektroautos nicht so entscheidend“ und begründet das mit der Möglichkeit zur Rückgewinnung der Bremsenergie. „Wir sind bei 65 % bis 68 % Rekuperation“, erklärt er seine Rechnung zum Energiebedarf im Fahrzeugbetrieb. Im Verhältnis zur Motorleistung habe man mit dem Elektromotor zudem ein höheres Drehmoment, wodurch das Fahrzeuggewicht weniger entscheidend sei.

Dem kann Hambrecht nur teilweise zustimmen. „In vielen Segmenten ist es tatsächlich irrelevant. Aber in den höheren Segmenten, wo die Autos aufgrund der Batterien sehr schwer werden, ist Leichtbau tatsächlich wichtig, weil wir sonst Mehrausstattung aufgrund der zulässigen Achslasten sperren müssten“, verdeutlicht er. Im höherpreisigen Premiumsegment gehört der Leichtbau zum daher Anspruch seines Unternehmens „Vorsprung durch Technik“.

Für Schuh ist das eine Gelegenheit, genauer auf sein Antriebskonzept einzugehen: „Sie haben recht. Wir müssen für die Viel- und Langstreckenfahrer, denen die Population der Lademöglichkeiten nicht ausreichend erscheint, eine Alternative haben.“ Sein Lösungsansatz lautet deshalb: „Die High-Performance-Fahrzeuge machen wir deshalb nicht rein mit Batterie, sondern mit einem Brennstoffzellen-Range-Extender.“ Er zeigt sich davon überzeugt, dass sich darüber 100 kg bis 300 kg an Batteriegewicht einsparen lassen.

Nachhaltigkeit des Autos durch langen Einsatz von Teilen und Recyclingfähigkeit

Hinsichtlich der Recyclingfähigkeit seines Fahrzeugkonzeptes und damit der Schonung von Ressourcen und Umwelt verdeutlicht Schuh: „Die Masse des Materials macht bei mir die Aluminiumprofilstruktur aus, die bis zu 50 Jahre hält. Dazu kommt die Batterie mit dem Speichermanagementsystem, die in dem modularen Konzept nach dem Austausch noch weitere 20 bis 25 Jahre als Heimspeicher genutzt werden könnte.“ Auch Elektroantriebe könnten 50 Jahre genutzt werden. Eine recyclinggerechte Bauweise erleichtere dabei die anschließende Nutzung der Rohstoffe. Einen kleineren Rohstoffanteil machten dagegen die Baugruppen der Außenhaut aus thermoplastischem Kunststoff aus. „Den verbaue ich ungefähr fünfmal“, erklärt der Produktionsexperte. Das ursprüngliche Bauteil werde dabei vollständig recycelt und vor der Extrusion des neuen Bauteils mit 15 % neuem Kunststoff ergänzt.

Lesetipp: Produktionskonzepte für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft

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