VIRTUALISIERUNG 25. Jun 2019 Oliver Klempert Lesezeit: ca. 4 Minuten

Planet Kepler 438b virtuell erkunden

Eine Technik namens „Prozedurale Synthese“ ermöglicht es Computerspielentwicklern, eine gesamte Galaxie auf den heimischen Bildschirm zu zaubern. Das Spiel „Elite: Dangerous“ erzeugt dadurch die Illusion der Unendlichkeit. Nicht nur das – der gerade erst entdeckte erdähnliche Planet Kepler 438b kann damit „erlebt“ werden.

Galaktische Entdeckungsreise: Im Computerspiel „Elite: Dangerous“ wird es möglich sein, virtuell auf fremden Planeten zu landen. Diese sollen in ihren Gesetzmäßigkeiten der Realität nachempfunden sein.
Foto: Elite Dangerous

Der Planet schwebt wie ein Versprechen direkt vor der dünnen Scheibe des Cockpits. Soeben hat das Raumschiff seinen Hypersprung in das Sonnensystem vollendet. Wer weiß, was auf diesem Planeten nun zu finden ist: Bodenschätze? Relikte einer vergangenen Zivilisation? Oder vielleicht sogar menschenähnliche Wesen?

Galaxie und Universum

Das Universum strotzt nur so vor Superlativen: So umkreist die Erde die Sonne, die aber nur eine von 300 Mrd. Sonnen ist, und das auch nur in unserer Galaxie. Daneben existieren viele Milliarden anderer genauso großer Galaxien.

Die wenigsten sind mit bloßem Auge zu erkennen, zum Beispiel die beiden rund 200 000 Lichtjahre entfernten Magellanschen Wolken. Das Licht der Andromedagalaxie, des nächstgelegenen Spiralnebels, benötigt 2,3 Mrd. Jahre bis zur Erde.

www.elitedangerous.com

Das Raumschiff beschleunigt und taucht kurz darauf in die Atmosphäre des Planeten ein, durchsticht Wolken und fliegt schließlich über eine fremde Welt, auf der Suche nach einem geeigneten Landeplatz.

Es ist der Kepler 438b, ein erdähnlicher Planet, der um einen roten Zwergstern kreist. Er wurde vom Weltraumteleskop Kepler entdeckt und vor wenigen Tagen von der Nasa bekannt gegeben. 470 Lichtjahre ist der Planet von der Erde entfernt, eine unvorstellbare Strecke.

Im aktuellen Computerspiel „Elite: Dangerous“ sind es jedoch nur ein paar Sprünge durch den Hyperraum, bis man bei ihm anlangt. Kepler 438b befindet sich im Spiel dort, wo er sich auch in der Realität befindet, und er folgt realistisch nachgebildeten Naturgesetzen. Er umkreist seine Sonne in der sogenannten „bewohnbaren Zone“, das heißt, dass die Oberfläche eine lebensfreundliche Temperatur hat und Wasser in flüssiger Form existieren kann.

Mit dem Computerspiel „Elite: Dangerous“ wird damit zumindest virtuell wahr, was bislang nur Raumfahrern der Zukunft vorbehalten ist: die Entdeckung von solchen fremden Welten, auf denen theoretisch Leben möglich ist.

Phantastische Cockpitansicht: 400 Mrd. Sternensysteme können im Spiel erforscht werden.Foto: Elite Dangerous

Die Software schiebt dafür die technischen Grenzen der Programmierung von Computerspielen weiter hinaus. Nicht weniger als 400 Mrd. Sternensysteme können in dem neuen Spiel erkundet werden – gepackt auf die Festplatte eines handelsüblichen PC.

Das Spiel besitzt zwar die klassischen Zutaten eines Weltraumspiels mit Raumschiffkämpfen, dem Handel von Gütern zwischen Raumstationen oder dem Abbau von Erzen in Asteroiden-Gürteln – gleichzeitig ist es aber noch viel mehr als das: Es ist Astronomie zum Anfassen.

Um eine ganze Galaxie nachbilden zu können, haben die Programmierer des Spiels der englischen Firma Frontier mit einer Technik namens „Prozedurale Synthese“ gearbeitet. Dahinter verbirgt sich die Erzeugung von dreidimensionalen Objekten, während das Spiel ausgeführt wird. Die generierten Elemente wie Planeten oder Landschaften werden dabei nicht zufällig erzeugt, sondern ihre Erstellung basiert auf zuvor festgelegten Bedingungen und Variablen, die zu- einander in Beziehung gesetzt werden. Das sind zum Beispiel Temperatur, Schwerkraft, chemische Zusammensetzung oder Größe eines Planeten. Das Spiel kann somit umfangreiche und komplexe Inhalte zeit- und platzsparend erzeugen. Der Spieler selbst findet auf diese Weise immer neue Planeten und Sterne vor, die jedoch physikalischen Gesetzmäßigkeiten folgen.

Im Spiel bilden sich diese Himmelskörper wie in der Realität über eine gewisse Zeitspanne. Aus verfügbarer Materie in Verbindung mit einem Drehimpuls kann etwa ein einzelner Zentralkörper wie eine Sonne geformt werden oder mehrere Himmelskörper, die auf Umlaufbahnen um eine Sonne kreisen. „Das ermöglicht es uns schließlich, die Milchstraße in ihrer Gesamtheit nachzubilden“, erklärt einer der Entwickler des Spiels, Eddie Symons. „Dazu zählt die Position von Sternen in der Galaxie, die Verteilung von Planeten um einen Stern herum und sogar die Verteilung von Wolken in Gasriesen.“

Zukunftsvision: Riesige Raumstationen kreisen in „Elite: Dangerous“ über vielen Planeten.Foto: Elite Dangerous

Die Spieler können dabei alles entdecken, was die Galaxie auch in der Realität zu bieten hat: verschiedene Planetentypen – von kleinen felsigen Welten bis zu Gasriesen, Doppelsterne, Systeme mit drei oder vier Sonnen und sogar Schwarze Löcher. „Für einen kleinen Teil der Simulation der Milchstraße konnten wir auf bekannte Sternenkarten zurückgreifen und haben astronomische Daten für rund 160 000 Systeme eingegeben“, erläutert Symons.

Wie detailversessen die Programmierer sind, zeigt der Umstand, dass der Spieler in den Tiefen des Alls auf die im Jahr 1977 von der Erde auf die Reise geschickte Sonde „Voyager 2“ treffen kann – und zwar dort, wo sie sich voraussichtlich im Jahr 3300 befinden wird, dem Jahr, in dem „Elite: Dangerous“ spielt. Mehr noch: Das Spiel zeigt, wie Evolution stattfinden könnte, bietet auf spielerische Weise einen tiefen Blick in die Geheimnisse des Kosmos.

So stellt es nach, dass es im All immer wieder zu Kollisionen, dem Zerbrechen von Materie oder zu Beinahe-Zusammenstößen kommt, wodurch sich einzelne Himmelskörper gegenseitig einfangen, sich in andere Umlaufbahnen schießen oder aus einem Sternensystem herausgeschleudert werden. Im Laufe der Zeit sollen sogar Sterne explodieren oder Gasansammlungen quer durch das All treiben können. „Stellar Forge“ heißt das System, das das Entwicklerstudio Frontier hierfür entwickelt hat.

Kometen rasen ungehindert durch Sternensysteme, rufen einerseits Zerstörungen hervor, lassen andererseits aber Rückstände wie Eis oder Wasser auf Himmelskörpern zurück – dies wiederum könnte dort später Leben ermöglichen. Auf diese Weise kann der Spieler Augenzeuge vom Werden und Vergehen im Universum sein.

Das Besondere am „Elite“-Universum ist zudem, dass es sich auch dann weiterentwickelt, wenn der Spieler nicht gerade selbst spielt. Als sogenanntes Multiplayer-Online-Game bleibt das Universum jederzeit bestehen. „Wir nutzen dazu Cloud-Computer-Systeme. Alle Spieler sind in einer gemeinsamen Galaxie unterwegs, die sich unabhängig von den Spielern stets und kontinuierlich nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten weiterentwickelt”, erklärt Symons. Wenn sich der Spieler also beim nächsten Mal im Spiel anmeldet, kann er unter Umständen auf ein komplett verändertes Umfeld treffen.

Damit sich der Spieler angesichts der unendlichen Größe nicht verloren vorkommt, haben die Entwickler die Galaxie in verschiedene Zonen eingeteilt. Im besiedelten Weltraum, in dem der Spieler zunächst anfängt, gibt es etwa 100 000 erschlossene, bevölkerte Welten. Später kann er dann als fortgeschrittener Spieler in den größten, komplett unerschlossenen Raum mit Abermilliarden Sternen aufbrechen und sich dort als Kartograf und Entdecker fühlen – und dorthin gehen, wo vorher noch niemand gewesen ist.

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