Buchtipps zum Krieg gegen die Ukraine 26. Apr 2023 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 5 Minuten

„Moskau Connection“ und „Revanche“: Diese Bücher erklären Russlands Weg in den Ukrainekrieg

Mit der zunehmenden Radikalisierung Russlands und der Auslieferung der deutschen Gasversorgung an Putin durch Gerhard Schröders Netzwerk beschäftigen sich zwei aktuelle Bücher.

Die Männerfreundschaft zwischen Wladimir Putin und Gerhard Schröder ist hinlänglich bekannt. Das Buch „Die Moskau Connection“ enthüllt, wie tief Schröders Netzwerk in die deutsche Politik reichte.
Foto: imago images/ITAR-TASS

„Revanche“ beschreibt die Radikalisierung der russischen Politik

Forderungen, den Krieg Russlands gegen die Ukraine mit Verhandlungen zu beenden, finden sich immer wieder in Friedensappellen, etwa in einem langen Text des Sozialphilosophen Jürgen Habermas vom Februar oder dem Aufruf „Frieden schaffen!“, den der Historiker Peter Brandt, Sohn des SPD-Politikers Willy Brandt, mitinitiiert hatte. Was diesen Aufrufen fehlt, ist ein Eingehen auf die politische Situation Russlands. Denn von ihr ist abhängig, ob Friedensverhandlungen überhaupt Aussicht auf Erfolg haben können. Der ehemalige FDP-Politiker Gerhart Baum hatte schon bald nach Kriegsbeginn Wladimir Putin als „nicht vertragsfähig“ bezeichnet, weil der Autokrat schon zu viele Verträge gebrochen habe.

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Wie sich Russland politisch und gesellschaftlich seit der Auflösung des Sowjetimperiums verändert hat und wie daraus das „gefährlichste Regime der Welt“ – so der Untertitel des Buches – entstanden ist, schildert eindringlich der Moskaukorrespondent der Wochenzeitung „Zeit“, Michael Thumann.

Nach dem Ende der Sowjetunion konnten sich Russlands Bürger emanzipieren

Er widerspricht dem heute häufig vorgetragenen Klischee, das Jahrzehnt nach der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 sei für Russland von Niedergang und Armut gekennzeichnet gewesen. Stattdessen hätten sich weite Teile der Bürgerinnen und Bürger am Aufbau einer freien Gesellschaft versucht. Reisen und persönliche Emanzipation hätten endlich verwirklicht werden können. Doch Wladimir Putin und seine Genossen aus dem Apparat des sowjetischen Geheimdienstes sorgten dafür, dass Russlands Gesellschaft bald wieder in autokratische Fesseln gelegt wurde. Anlass gab ihm der Zweite Tschetschenienkrieg, der sich vorgeblich gegen islamistischen Terror richtete. „Tschetschenien ist das Laboratorium einer Kriegsführung, die mangelnde Effizienz und Durchschlagskraft durch Grausamkeit und Rache ersetzt“, schreibt Thumann – ein Vorgehen, das mehr als 20 Jahre später in der Ukraine erneut umgesetzt werden sollte.

Eigene Kapitel widmen sich der Gleichschaltung der Medien und den russischen Gefängnissen. So versprach im Staatsfernsehen der populäre Moderator Wladimir Solowjow dem Westen im Fall eines Atomkrieges: „Wir gehen ins Paradies und die in die Hölle.“ Die russische Justiz stützt sich immer noch auf ein Netz von Straflagern, dessen Prinzipien sich seit den Zeiten der stalinistischen Gulags nicht wesentlich geändert haben. Gerichte sind längst nicht mehr unabhängig, sondern vollziehen nur noch den Willen der Machthaber. Oppositionelle werden zu langen Haftstrafen verurteilt wie der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa. Damit werden die Akteure der Zivilgesellschaft zum Verstummen gebracht und andere eingeschüchtert.

„Putin, Erdogan und Orbán bildeten ein Männerkartell“

Doch nicht nur für die eigene Bevölkerung hat Putins Herrschaftsmethode fatale Folgen. Thumann sieht in ihm einen Vertreter des neuen Nationalismus, wie er im 21. Jahrhundert in den unterschiedlichsten Ecken der Welt Zulauf bekommen hat. Diese Ideologie überhöht die eigene Nation und macht die anderen verächtlich. Putin und westliche Populisten verstanden und verstehen sich prächtig: „Putin, Erdogan und Orbán bildeten ein Männerkartell, das sich gegenseitig stützte, auch wenn ihre Länder zum Teil geostrategisch konkurrieren“, warnt Thumann. Diese Nationalisten seien nach dem Amtsantritt von US-Präsident Biden erst einmal in den Wartestand getreten und hofften auf dessen Abwahl. Aber das Beispiel Putin zeigt laut Thumann: „Der neue Nationalismus führt zum Krieg und die staatliche Stabilisierung auf Biegen und Brechen mündet in die Diktatur.“

Thumanns Analyse von Putins Zielen macht klar, wie schwierig eine Verhandlungslösung für den Krieg in der Ukraine werden wird. Der Autor bezeichnet den Überfall im Februar 2022 als Putins „finalen Showdown mit dem Westen. Diese lang geplante Auseinandersetzung führte er um nichts weniger als die Vorherrschaft in der Welt.“ Doch dieser Herrschaftsanspruch ist gescheitert, das steht nach einem Jahr Krieg und möglicherweise mehr als 100 000 Toten auf beiden Seiten fest. Wirtschaftlich und moralisch ruiniert bleibt Russland nur die Rolle als Juniorpartner Chinas. Die Herausforderungen, die sich daraus für die Beziehungen des Westens zur Volksrepublik stellen, kristallisieren sich gerade erst heraus.

Der Erdgasspeicher in Rehden ist mit einer Kapazität von 3,9 Mrd. m3 der größte Erdgasspeicher in Westeuropa. „Die Moskau Connection“ schildert, wie er in die Hände von Gazprom geriet. Foto: Astora

Wie „Die Moskau Connection“ um Gerhard Schröder die deutsche Gasversorgung an Russland auslieferte

Was haben sechs Fußballtrikots in einer VIP-Lounge von Hannover 96 damit zu tun, dass Deutschland zuletzt mehr als die Hälfte seines Gases aus Russland bezog? Sehr viel, denn eines dieser Trikots gehörte Gerhard Schröder, ein anderes Günter Papenburg, dessen Salzgitter AG Großaufträge an russischen Pipelines erhielt, Nummer fünf trug Heino Wiese, Landesgeschäftsführer der SPD Niedersachsen und später Honorarkonsul Russlands und Unternehmensberater für Geschäfte in diesem Land. Dass mit der Nummer sieben auch Klaus Meine, Sänger der Scorpions, dort vertreten ist, lässt die Leserinnen und Leser von „Die Moskau Connection“ den Text von „Wind of Change“ ganz neu interpretieren: „Did you ever think that we could be so close like brothers?“

Denn es waren nicht nur gemütliche Abende mit Bier und Currywurst, die die Bruderschaft zusammenhielten: „Neben ihren freundschaftlichen Beziehungen pflegen die Beteiligten häufig zugleich finanzielle Beziehungen zueinander.“ Der Blick in die Stadionlounge zeigt, wie meisterhaft die FAZ-Korrespondenten Reinhard Bingener und Markus Wehner ein Netzwerk ehrgeiziger Geschäftsleute und Politiker vorstellen, das Deutschland in eine immer stärkere Abhängigkeit von russischem Gas hineinzog. Zudem sorgten die Beteiligten dafür, dass die Bundesregierung die innen- und außenpolitische Radikalisierung Putins nicht nur weitgehend tatenlos hinnahm, sondern auch die Beziehungen der beiden Länder weiter vertiefte.

Gazproms Macht auf dem deutschen Gasmarkt wuchs immer weiter

Das blinde Vertrauen in Russlands Liefertreue fällt erst in die Ära von Schröder & Co.: In den 1980er-Jahren wurde noch Wert darauf gelegt, die Bezugsquellen breit zu streuen. Kein Land durfte mehr als knapp 30 % des Gases liefern. Die Liberalisierung des Gasmarktes in den 1990er-Jahren führte paradoxerweise zum gegenteiligen Effekt. Der aus dem Kreml gelenkten Gazprom gelingt es über die Jahre, immer größeren Einfluss auf den deutschen Gasmarkt zu nehmen. Martin Hellwig, damals Vorsitzender der Monopolkommission, sagte im Rückblick, während Schröders Kanzlerschaft habe die Politik zunehmend „das Wort ,Versorgungssicherheit‘ mit den Buchstaben G-A-Z-P-R-O-M buchstabiert“. Im Jahr 2020 bezog Deutschland mehr als die Hälfte seines Gases aus Russland. Die Abhängigkeit erstreckte sich schließlich sogar auf die Infrastruktur: Im Jahr 2015 übernahm Gazprom den größten deutschen Gasspeicher in Rehden.

Franz-Walter Steinmeier warnte vor „Kriegsgeheul“ der Nato

Das war ein Jahr nach Russlands Angriff auf die Ostukraine im Jahr 2014. Die Moskau Connection sorgte dafür, dass trotzdem die guten Beziehungen nach Moskau intakt blieben. Wesentlich dafür verantwortlich war Außenminister Franz-Walter Steinmeier, der seine politische Karriere in der niedersächsischen Staatskanzlei begann, als Gerhard Schröder dort Hausherr war. „Manche von Steinmeiers Stellungnahmen könnten direkt aus dem Kreml kommen“, formulieren Bingener und Wehner lapidar. Etwa als Steinmeier ein Nato-Manöver in Polen mit den Worten kommentierte: „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.“

Immerhin ist der jetzige Bundespräsident einer der wenigen aus dem Hannoveraner Talentschuppen, der Fehler in der Russlandpolitik eingestand – weil er nach Beginn der russischen Vollinvasion um sein Amt fürchtete, wie die Buchautoren schreiben.

Osteuropaexperte Heiko Pleines über die Erfolgschancen eines „Marshallplans für die Ukraine“

Doch Steinmeiers Angst war unbegründet, wie sich seitdem gezeigt hat: Von den Politikern aus Schröders Netzwerk habe keiner zurücktreten müssen, obwohl sie Schuld auf sich geladen hätten: „Dafür, dass Deutschland blind war gegenüber dieser Bedrohung, die für die Ukraine in einem schrecklichen Krieg endete, trägt Schröders Moskau-Connection eine bleibende Verantwortung.“

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