Wirtschaft 23. Jun 2022 Von Thomas A. Friedrich und Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 5 Minuten

Gas: Die Krise ist da

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rief heute Morgen die zweite Stufe des Notfallplans Gas aus, die Alarmstufe. Unterdessen will das EU-Parlament europaweit die Gasspeicher auffüllen und für eine faire Verteilung der Vorräte sorgen.

Der Erdgasspeicher in Rehden ist mit einer Kapazität von 3,9 Mrd. Kubikmetern Erdgas der größte Erdgasspeicher in Westeuropa. Die deutschen Erdgasspeicher müssten prinzipiell bis zum Winter zu rund 90 % gefüllt sein, damit Deutschland sowohl seinen Heizbedarf als auch den Bedarf für die Industrie decken kann.
Foto: Astora gmbh

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) rief heute Vormittag die zweite Stufe des Notfallplans Gas, die sogenannte Alarmstufe, aus. „Aktuell ist die Versorgungssicherheit gewährleistet, aber die Lage ist angespannt“, heißt es in der Mitteilung des Ministeriums. Die Sorge des Ministeriums sowie von Energiewirtschaft und Industrie gilt den Füllständen der Gasspeicher. Zwar seien die Gasspeicher mit 58 % stärker gefüllt als im Vorjahr. „Doch sollten die russischen Gaslieferungen über die Nord-Stream-1-Leitung weiterhin auf dem niedrigen Niveau von 40 % verharren, ist ein Speicherstand von 90 % bis Dezember kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar“, heißt es aus dem BMWK. Dies zeigten Berechnungen der Bundesnetzagentur.

Krise beim Gas: „Stand heute haben wir ein Problem“

Grund für die Ausrufung der Alarmstufe seien die seit dem 14. Juni 2022 bestehende Kürzung der Gaslieferungen aus Russland und das weiterhin hohe Preisniveau am Gasmarkt. Der russische Energiekonzern Gazprom drosselt seitdem – nach eigenen Angaben aus technischen Gründen – die Gasdurchleitung durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Derzeit werden nur 67 Mio. m3 der bis zu 167 Mio. m3 möglichen Volllast geliefert, also nur noch rund 40 % des maximalen Durchsatzes. Damit verzögert sich das Auffüllen der Gasspeicher in Deutschland.

Das Gas zum Füllen der Speicher fehlt mehr und mehr

„Wir haben die Gasspeicherung erheblich zurückgefahren. Wir haben nicht mehr die Mengen übrig, um die Speicher zu füllen, sondern wir brauchen das Gas, um unsere Kunden zu bedienen“, erklärte Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach am Mittwoch auf der Energiemesse E-World in Essen. Uniper ist einer der größten Gasspeicherbetreiber in Deutschland.

Lieferstopp von russischem Gas: Polen ist vorbereitet, Bulgarien hat einen Alternativplan

Nach Angaben der deutschen Presseagentur weist der Kreml einen politischen Hintergrund der derzeitigen Drosselung zurück. Vielmehr seien sanktionsbedingte Verzögerungen bei Reparaturarbeiten Ursache des Problems, hat Kremlsprecher Dmitri Peskow heute laut Agentur Interfax erklärt. Nach russischen Angaben steckt eine Siemens-Turbine für die Pipeline aufgrund der westlichen Sanktionen im Ausland fest.

Gas: Jetzt ist es amtlich, die Versorgung ist gestört

„Wir haben ab jetzt eine Störung der Gasversorgung“, erklärte Habeck heute Morgen. „Auch wenn aktuell noch Gasmengen am Markt beschafft werden können und noch eingespeichert wird: Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen. Auch wenn man es noch nicht so spürt: Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut. Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen. Das wird sich auf die industrielle Produktion auswirken und für viele Verbraucherinnen und Verbraucher eine große Last werden. Es ist ein externer Schock.“

Chemieverband warnt vor „verheerenden Auswirkungen“ eines Gasembargos gegen Russland

Bereits auf der E-World hatte Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, erklärt. „Ich bin dankbar für jeden Vorschlag, wie wir den Gasverbrauch im nächsten Winter runterkriegen, denn Stand heute habe wir ein Problem.“ Müller warnte, das Krisenbewusstsein sei noch nicht da, aber bereits heute vonnöten. Das Fatale: Der Kunde merkt von der prekären Lage kaum etwas. Die Gasrechnung mancher Gewerbe- und Industriekunden spiegelt die Knappheit und die derzeit hohen Preise nicht wider, weil das Gas vor zwei Jahren zu ganz anderen Preisen kontraktiert wurde. Aber jetzt gilt es, den Gasverbrauch wo immer möglich zu verringern, um die dadurch nicht benötigten Mengen als Vorrat für den Winter in die Speicher zu pumpen. Auch die Rechnungen für Endverbraucherinnen und -verbraucher würden sich, so Müller, vielleicht verdoppeln, aber: „Der Gaspreis hat sich versechsfacht.“

Ausstieg aus der Verstromung von Gas durch die Hintertür

Um den Gasverbrauch in der Stromerzeugung zu senken, wird die Bundesregierung, wie am 19. Juni angekündigt, zusätzliche Kohlekraftwerke aus der Bereitschaft abrufen. Dazu hat das BMWK bereits die Kraftwerksbetreiber angeschrieben und gebeten, die nötigen Schritte zu veranlassen. Das entsprechende Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, das den Abruf der Gasersatzreserve ermöglicht, ist derzeit im parlamentarischen Verfahren. Das BMWK bereitet alle entsprechenden Verordnungen vor, um sie zügig nach Inkrafttreten und passgenau zu nutzen. „Wir bringen Kohlekraftwerke in den Markt und reduzieren die Menge an Gas. Das ist schmerzlich, Kohlekraftwerke sind einfach Gift fürs Klima. Aber für eine Übergangszeit müssen wir es tun, um Gas einzusparen und über den Winter zu kommen“, sagte Habeck.

In dem Zusammenhang hatte Sven Becker, CEO des Stadtwerkeversorgers Trianel, bei der Vorstellung der Jahreszahlen gestern von einem „Ausstieg aus der Gasverstromung durch die Hintertür“ gesprochen, die bisher vorliegende Regelung gleiche einer „Quasi-Enteignung von Gaskraftwerksbetreibern“. Er glaube, dass der Markt, zumindest in Grenzen, der beste Mechanismus sei, um Ergebnisse zu realisieren. Klar müsse die Gasverstromung in diesem Fall heruntergefahren werden, so Becker, aber die Betreiber gänzlich allein mit den Folgekosten zu lassen, sei nicht in Ordnung. Beim Gaskraftwerksbetreiber Statkraft, der zwei Anlagen in Knapsack bei Köln unterhält, hätte man sich ebenfalls mehr Fairness gewünscht. Für die Industrie werde das Gas im Rahmen einer Auktion vergeben. Hier stelle sich die Frage, warum die Kraftwerksbesitzer nicht einbezogen werden könnten.

Auktionsmodell für den Industriebedarf an Gas

Gemeint ist das Gasauktionsmodell, das laut BMWK industrielle Gasverbraucher anreizen soll, Gas einzusparen. Dazu entwickeln der Marktgebietsverantwortliche Trading Hub Europe (THE), die Bundesnetzagentur (BNetzA) und das BMWK nach dessen Angaben ein Gas-Regelenergieprodukt, mit dem Industriekunden gemeinsam mit ihren Lieferanten gegen eine rein arbeitspreisbasierte Vergütung ihren Verbrauch in Engpasssituationen reduzieren und Gas dem Markt zur Verfügung stellen können (Demand-Side-Management). „Damit wird – einer Auktion gleich – ein Mechanismus geschaffen, der industriellen Gasverbrauchern einen Anreiz gibt, Gas einzusparen, das dann wiederum zum Einspeichern genutzt werden kann. Das Modell soll dafür sorgen, dass möglichst viele Gasmengen für etwaige Engpasssituationen im kommenden Winter bereitstehen“, so das Ministerium. Eine Beteiligung an diesem Modell mahnen Kraftwerksbetreiber jetzt an.

EU-Parlament verabschiedet Verordnung zum Füllen der europäischen Gasspeicher

Unterdessen verabschiedete das EU-Parlament heute eine Vorlage, nach der die Gasspeicher in der EU bis zum 1. November auf mindestens 80 % aufgefüllt werden sollen und die vorhandenen Reserven fair unter den EU-Mitgliedstaaten im Bedarfsfalle aufgeteilt werden. Dies beschloss das EU-Parlament am Donnerstag angesichts des Ukrainekriegs und der von Russland reduzierten Gasliefermengen nach Europa.

Das EU-Parlament will gemeinsam mit dem Ministerrat als Vertretung der EU-Staaten in einem beschleunigten Gesetzesverfahren die Grundlagen dafür schaffen, dass zukünftig unter den Mitgliedstaaten einheitliche Regeln über die Gasspeicherung und die Verteilung von Gasvorräten erfolgen. So sieht der Parlamentsvorschlag vor, dass bereits vorhandene Gasreserven in den größten Speicherländern – Österreich, Italien und Deutschland – „im Geiste der Solidarität“ geteilt werden sollen. Davon sind zunächst Polen und Bulgarien betroffen, die von der Gaslieferung aus Russland unlängst abgeschnitten wurden.

EU-Parlament will nationale Mindestfüllmengen für Gasspeicher verordnen

Das EU-Gasspeichergesetz sieht vor, dass ab 2023 die EU-Mitgliedstaaten in ihren Speichern für die Monate Februar, Mai, Juli und September jeweils Mindestfüllstände vorsehen und gegenüber der EU-Kommission dokumentieren sollen. Des Weiteren verpflichten sich die Mitgliedstaaten, dass im Sinne eines Lastenverteilungsmechanismus die EU-Staaten ohne eigene Gasspeicherkapazitäten Zugang zu verfügbaren Gasreserven in der EU zu fairen Preisen erhalten sollen. Die EU-Gas-Koordinierungsgruppe wird aufgefordert, eine ständige Überwachung der tatsächlichen Füllstände der unterirdischen Gasspeicher in der EU künftig zu gewährleisten.

Darüber hinaus sieht der Gesetzesvorschlag vor, dass für die Winterperiode 2022/23 die vorhandenen Gasspeicher in der EU bis zum 1. November künftig zumindest auf ein Niveau von 90 % aufgefüllt werden sollen. Für das laufende Jahr 2022 wird eine Marge von 80 % Vorratsspeicherung für alle in der EU verfügbaren Speicherkapazitäten angepeilt.

Gleichzeitig werden die nationalen Aufsichtsbehörden aufgefordert, ihre Gasspeichertanks zu zertifizieren. Um Risiken von äußeren politischen Einflüssen aus Drittstaaten bei den kritischen Gasinfrastrukturen vorzubeugen, obliegt es den nationalen Aufsichtsbehörden, den Gasspeicherbetreibern, die nicht den europäischen Regeln entsprechen, nötigenfalls ihre Eigentumsrechte auf EU-Territorium zu entziehen. In diesem Sinne hatte unlängst das deutsche Bundeskartellamt die treuhänderische Verwaltung der im Eigentum der russischen Gazprom befindlichen Gasspeicher auf deutschem Boden übernommen.

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