Windkraft: Schlüssel zur Energiewende ist in Gefahr
Die Windkraft hat Fahrt aufgenommen. Die Branche verspricht dauerhaft schnell genug liefern zu können, fürchtet aber einen chinesischen Verdrängungswettbewerb.
Windkraft deckt aktuell 20 % des Strombedarfs in Europa, bis 2030 sollen es 35 % sein, 2050 über die Hälfte. In Deutschland waren es 2023 schon 28,6 % der Nettostromerzeugung. „Wir haben wirklich Fahrt aufgenommen“, betonte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck anlässlich der Branchenmesse Windenergy heute in Hamburg. Bereits 2023 sei in Deutschland mehr Strom aus Windenergie als aus Kohle erzeugt worden, war der Minister stolz. Der weitere Ausbau boomt:
„Nach zwei Jahren harter Arbeit sind wir zurück in der Spur. Wir waren in einem Tal bei den Installationen, wir sind besser zurück, als ich jemals dachte“, sagte er per Videoschalte aus Berlin zur Eröffnung der Messe. 2024 würden in den Ausschreibungen für Wind Onshore voraussichtlich 10 GW erreicht; das ist die Zahl, die die Bundesregierung als Jahresinstallation bis 2030 als Ziel ausgegeben hatte.
Habeck zur Windkraft: „Flaschenhals ist nicht mehr länger die Politik“
Habeck war es besonders wichtig, den in Deutschland aufblühenden Windkraftmarkt auch für sich als Erfolgsgeschichte zu reklamieren. Die Bundesregierung habe hier eine 100 %ige Kehrtwende in der Politik innerhalb von zwei Jahren hingelegt: „Die politische Seite hat geliefert. Der Flaschenhals ist nicht mehr länger die Politik.“ Der liege jetzt bei der Umsetzung – auf der praktischen Seite.
Udo Bauer, CEO des Auricher Windkraftanlagen-Herstellers Enercon, wollte auf der Eröffnung der Windenergy mit dieser Äußerung Habecks nicht so ganz mitgehen. „Die Industrie kann und wird liefern. Das werden Sie auf der Messe sehen: Wir sind lieferfähig“, unterstrich Bauer. „Es gibt keinen Flaschenhals“, betonte er, sagte aber auch: „Wir sind schnell, aber noch nicht schnell genug.“
Ja, gestand Bauer ein, es gebe Probleme, die Windmühlen auszuliefern, das sei aber eine Frage der Logistik. Ein Beispiel dazu, welche Probleme in der Praxis auftreten, hatte Bärbel Heidebroek, Präsidentin des Bundesverbandes Windenergie (BWE), parat: „Ein Lkw mit einer bestimmten Tonnage darf nicht über eine Brücke fahren. Aber drei Lkw, die zusammengenommen die gleiche Tonnage haben, dürften gleichzeitig über die Brücke fahren. Das erschließt sich mir nicht“, erläuterte sie gegenüber VDI nachrichten. Da gelte es etwas „kreativer“ zu werden.
Windkraft global wettbewerbsfähig gegenüber fossilen Energieträgern
Wie wichtig Windenergie weltweit heute schon ist, zeigen die Zahlen, die die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (Irena) heute Morgen vorgelegt hat. Für eine weltweite Energiewende muss die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf 11,2 TW bis 2030 verdreifacht werden. Allein 8,5 TW davon müssten laut Irenas World Energy Transitions Outlook aus Photovoltaik und Onshore-Windkraft stammen. Dabei sinken die Kosten auch für Windkraftanlagen ständig, wie Irena berichtet, bei Onshore-Windkraft um 3 %, bei Offshore-Windkraft um 7 % im letzten Jahr. Windparks an Land in Kraftwerksgröße erlaubten inzwischen konkurrenzfähige Stromgestehungskosten von 33 $/MWh.
Diese niedrigen Kosten sind ein Zeichen, dass die Windkraftanlagen eine ausgereifte Technologie sind, wie auch Habeck betont. Und es einen weltweiten harten Wettbewerb gibt. „Als Ökonom bin ich ein Freund von Wettbewerb“, betonte Philipp Nimmermann, Staatssekretär in Habecks Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), aber: „Es muss gleiche Wettbewerbsbedingungen geben.“
Windbranche fordert faire Wettbewerbsbedingungen von China
Eine Forderung, die auch Enercon-Chef Bauer erhob: „Die industriepolitischen Rahmenbedingungen für Onshore-Wind müssen so gestaltet sein, dass wir weiterhin in Deutschland und Europa investieren und wachsen können.“ Der faire Wettbewerb in Deutschland und Europa müsse sichergestellt und Preisdumping „geahndet“ werden. „Nur mit einem verlässlichen industriepolitischen Rahmen und fairen Wettbewerbsbedingungen können wir unseren Beitrag zum ambitionierten Onshore-Ausbau, zu mehr Resilienz und Energieunabhängigkeit leisten“, hatte Bauer Habeck letzte Woche ins Stammbuch geschrieben, als dieser in Aurich das Enercon-Hauptquartier besucht hatte.
Den Elefanten im Raum nannten weder Habeck noch sein Staatssekretär beim Namen: China: Das Land ist für erneuerbare Energien der größte Binnenmarkt weltweit. Auch für Windkraft. 2023 stand er für ziemlich genau jeweils zwei Drittel des weltweiten Marktes an Onshore- und Offshore-Wind.
Windkraft ist kritische Infrastruktur
„China hat extrem große Fertigungskapazitäten im Windenergiebereich und hat auch deutlich mehr Kapazitäten, als sie für den eigenen Markt brauchen. Das heißt, sie wollen und müssen expandieren“, betonte Heidebroek. Eine Gefahr liege darin, dass China über staatliche Förderung diese Industrie extrem subventioniere, um den europäischen Markt zu erobern und eine dominante Stellung zu erreichen. Und gerade der Finanzierungsaspekt ist im Windkraftsektor „wahnsinnig wichtig. In der Regel sind zwischen 80 % und 90 % eines Projekts fremdfinanziert“, so Heidebroek.
BMWK-Staatssekretär Nimmermann betonte, dass aus Sicht des Hauses die Windenergie eine kritische Infrastruktur sei. Von daher gebe es die Möglichkeit, „da draufzusehen“, zum Beispiel auch in puncto Cyber- und Datensicherheit. „Es sollte keine Möglichkeit bestehen, die Stabilität der Anlagen zu gefährden und es sollten keine Daten das Land verlassen“, betonte er.
Probleme mit Netzinfrastruktur und Verkehr
„Die Hersteller aus Europa und den USA haben in den letzten Jahren sehr große technologische Fortschritte gemacht, um Kosten zu senken“, so Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer VDMA Power Systems gegenüber VDI nachrichten. Allerdings gingen die chinesischen Konkurrenten offenbar „dermaßen mit den Preisen runter, dass wir uns das nicht anders erklären können, als dass hier unfair gespielt wird“. Die EU-Kommission habe daher ja auch ein Prüfverfahren eingeleitet.
„Im Umgang mit China gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Uns gelingt es, einen Schiedsrichter zu etablieren, an dessen Entscheidungen sich dann auch alle halten. Zweitens: Wir kommen zum Schluss, dass die chinesischen Hersteller einfach unfair spielen wollen, sich das auch nicht ändern wird und schließen sie aus. Und drittens – und das ist die schlechteste Lösung: Wir lassen es laufen.“
Als Baustellen bleiben dann europaweit, wie José Luis Blanco, Chairman Windeurope und CEO der Nordex Group, klarmachte „Engpässe wie Stromnetze und Verkehrsinfrastruktur“. Die müssten angegangen werden, um den Ausbau neuer Windkraftanlagen zu beschleunigen. „Deutsche Netze sind ziemlich dumm“, klagte auch BWE-Präsidentin Heidebroek. Man könne sie viel effizienter nutzen als heute. Staatssekretär Nimmermann wollte diesem Statement auf Nachfrage nicht direkt widersprechen: „Wir wollen die deutschen Netze smart machen“, sagte er.
Robert Habeck sprach zum Schluss seiner Rede eine Empfehlung aus, was andere Länder, die sich an Deutschland ein Beispiel für eine Energiewende nehmen wollten, nicht nachmachen sollten: „Steigt nicht aus allem aus, ihr braucht etwas, in das ihr einsteigen könnt“, sagte er. „Aus Kernenergie und Kohle auszusteigen und nicht in die erneuerbaren Energien und in den Netzausbau einzusteigen“, nannte er ein Beispiel.
Solar, Wind & Co. – zu wenig Fachkräfte für die Energiewende