Patente 10. Jun 2016 Bernd Müller Lesezeit: ca. 5 Minuten

Ausgezeichnete Erfinder

Zweimal Automobil, viermal Medizin: Das Europäische Patentamt hat in Lissabon den Europäischen Erfinderpreis 2016 an sechs Erfinder(teams) verliehen, die sich um unsere Sicherheit und Gesundheit verdient gemacht haben.

Die Physiker Bernhard Gleich (li.) und Jürgen Weizenecker haben das Magnetic Particle Imaging (MPI) erfunden. In der Medizin kann es eine Alternative zur Magnetresonanztomographie werden. Das Verfahren liefert ungleich schneller detaillierte Bilder aus dem Körperinneren.
Foto: EPA

Die Dänen Ulrich Quaade (li.) und Tue Johannessen machen Dieselmotoren sauberer. Dazu bieten sie Ammoniak-Kartuschen und ein einfach zu installierendes Dosiersystem an.

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Anton van Zanten aus den Niederlanden ist der geistige Vater des Elektronischen Stabilitätsprogramms (ESP), das heute in fast allen Neuwagen verbaut ist.

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Robert Langer integriert Medikamente in Kunststoffkapseln und implantiert sie in die Nähe von Hirntumoren. Dort löst sich das Trägermaterial auf und setzt die Wirkstoffe gezielt frei.

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Die Physiker Bernhard Gleich (li.) und Jürgen Weizenecker haben das Magnetic Particle Imaging (MPI) erfunden. In der Medizin kann es eine Alternative zur Magnetresonanztomographie werden. Das Verfahren liefert ungleich schneller detaillierte Bilder aus dem Körperinneren.

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Alim-Louis Benabid aus Frankreich hilft Parkinson-Patienten mit dem von ihm entwickelten Hirnschrittmacher.

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Helen Lee von der Cambridge University hat einen Schnelltest entwickelt, mit dem auch Laien eine HIV-Infektion diagnostizieren können.

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Der 21. Oktober 1997 war ein Tag zum Vergessen – jedenfalls für Daimler. An diesem Tag kippte die neue A-Klasse bei einem Ausweichtest um. Häme ergoss sich über das Unternehmen, der Begriff Elchtest fand Eingang in das nationale Sprachgut. Der Autobauer reagierte schnell und rüstete alle Fahrzeuge mit einer elektronischen Steuerung aus, die waghalsige Fahrmanöver erkennt und durch sanftes Drosseln des Antriebs den Wagen in der Spur hält. Elchtest sei Dank steht das Kürzel ESP (Elektronisches Stabilitätsprogramm) heute bei jedem Neuwagen in der Liste der Grundausstattung. Das Europäische Patentamt (EPO) hat den ESP-Erfinder Anton van Zanten am 9. Juni in Lissabon mit dem Preis für das Lebenswerk ausgezeichnet.

Europäischer Erfinderpreis

Das Europäische Patentamt (EPA) verleiht jährlich den Europäischen Erfinderpreis. Gestern wurde die Auszeichnung zum elften Mal vergeben.

„Der Preis rückt die herausragende Arbeit von Erfindern aus unterschiedlichen Ländern und technischen Disziplinen in den Mittelpunkt, deren Innovationen positive Auswirkungen auf das Leben von Millionen Menschen haben“, so EPA-Präsident Benoît Battistelli. sta

Und mit ihm fünf weitere Tüftler beziehungsweise Teams, die teilweise weniger bekannte aber nicht weniger wichtige Innovationen erdacht und selbstverständlich in Europa patentiert haben – denn dies ist die Voraussetzung für eine Nominierung für den Erfinderpreis, der in diesem Jahr zum elften Mal verliehen wurde. „Die Wirkung der Innovationen der diesjährigen Gewinner unterstreicht die Bedeutung des Europäischen Patentsystems für technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt in Europa und weltweit“, lobte EPO-Präsident Benoît Battistelli in einem Atemzug die Erfinder und seine Behörde.

Einige der Preisträger haben ihre aktive Wissenschaftlerkarriere bereits hinter sich. Anton van Zanten ist 75. Vor der verdienten Rente arbeitete der Niederländer bei der Robert Bosch GmbH, wo er das „On-Board-ESC-Computersystem“ erfunden hat. ESP, wie es heute heißt, ist zweifellos eine Erfolgsstory, allerdings eine ziemlich lange. Über 20 Jahre hat es gedauert, bis das System patentiert war und sich auf dem Markt durchsetzte – nicht zuletzt dank des missglückten Elchtests der A-Klasse.

Patente für Kampf gegen Aids, Krebs und Parkinson

Van Zanten hat das geschafft, was Tue Johannessen, Ulrich Quaade, Claus Hviid Christensen und Jens Kehlet Nørskov – Gewinner des Preises für kleine und mittelständische Unternehmen – noch erreichen müssen: den ökonomischen Durchbruch ihrer Idee. Ausgerechnet einer der größten Industrieskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte könnte den vier Wissenschaftlern von der Dänemark Technischen Universität (DTU) in die Hände spielen: der Abgasskandal, der insbesondere mit dem Namen Volkswagen verbunden ist, der aber inzwischen die gesamte Branche erfasst hat. Nach der Aufdeckung der Abgasmanipulationen an Dieselmotoren kommt immer stärker ans Licht, dass moderne Motoren fast nie die Abgaswerte erreichen, die die Hersteller in ihren bunten Broschüren versprechen. Insbesondere die Stickoxidwerte sind bei Weitem zu hoch, weshalb Städte wie Stuttgart oder München die Europäischen Grenzwerte regelmäßig überschreiten. Premiumhersteller setzen auf die AdBlue-Technik. Dabei wird Harnstoff ins Abgas gespritzt, der Ammoniak darin verbindet sich mit Stickoxiden zu Wasserdampf und Stickstoff, dem Hauptbestandteil der Atemluft. Doch neuere Tests zeigen, dass die Ad-Blue-Tanks mitunter zu klein sind und die eingespritzte Harnstoffmenge damit zu gering ist. Außerdem muss das Reinigungssystem 200 °C heiß sein, was ein Motor auf kurzen Strecken kaum erreicht.

Das Forscherteam aus Dänemark setzt auf die gleiche chemische Reaktion, nutzt aber statt flüssigem Harnstoff direkt Ammoniak. Der entscheidende Fortschritt: Den Dänen gelang es, Ammoniak, das bei Umgebungstemperatur gasförmig ist, in einen festen Stoff zu binden. Bestimmte Salze wie Strontiumchlorid bunkern Ammoniak in großen Mengen – wie ein Schwamm. Ein 100 g leichter Würfel schluckt bis zu 50 g Ammoniak. Das gelangt nach und nach ins Abgas und setzt die erwünschte chemische Reaktion in Gang. 99 % der Stickoxide werden so unschädlich gemacht. Und weil die Reinigung schon bei niedrigen Temperaturen funktioniert, kann der Dieselmotor mit optimaler Betriebstemperatur arbeiten und stößt dabei weniger Kohlendioxid aus.

Mit ihrer Firma Amminex verkaufen die vier prämierten Erfinder unter dem Namen AdAmmine Kartuschen des festen Ammoniaks sowie Dosiersysteme zum Einbau ins Fahrzeug. Größter Erfolg ist die Ausrüstung von 300 Bussen in Kopenhagen. Kommt die blaue Umweltplakette, könnte AdAmmine sehr schnell auch für ältere Diesel-Pkw interessant werden, die sonst die strenge Abgasnorm nicht schaffen würden.

Das alles sind wichtige Erfindungen zum Nutzen von Umwelt und Sicherheit. Die wirklich drängenden Probleme der Menschheit liegen aber anderswo: Aids, Krebs, Parkinson – diese Krankheiten kosten immer noch Millionen Menschen das Leben oder schränken diese in ihrer Lebensqualität erheblich ein. Und so ist es nachvollziehbar, dass sich die Jury des Europäischen Patentamts in den vier weiteren Preiskategorien ausnahmslos für Erfindungen entschieden hat, die die großen Geiseln der Menschheit bekämpfen sollen.

Helen Lee von der Cambridge University erhielt den Publikumspreis für ihren Schnelltest zur Detektion von HI-Viren. Die Diagnose des Auslösers der Immunschwächekrankheit Aids erfolgt über eine typische Gensequenz des Virus in einer Blutprobe. Der unkomplizierte Test zeigt innerhalb von Minuten, ob eine Person infiziert ist. Samba (Simple Amplification based Assay) eignet sich damit besonders für strukturschwache Regionen ohne ausgebildetes medizinisches Personal.

Die Auswertung ist einfach wie ein Schwangerschaftstest: Zwei Striche auf dem Teststreifen bedeutet: infiziert, ein Strich: nicht infiziert. Der Test wurde bereits erfolgreich an 40 000 Menschen in Malawi und Uganda eingesetzt. Auf dem afrikanischen Kontinent sind mindestens 25 Mio. Menschen mit dem HI-Virus infiziert, jedes Jahr kommen dort 150 000 Kinder mit dem tödlichen Virus zur Welt.

Helen Lee hat das mobile Diagnose-Kit Samba 2011 vorgestellt, sie vermarktet es mit ihrem eigenen Unternehmen „Diagnostics for the Real World“, ein Spin-off der Cambridge University, das sie 2002 gegründet hat. Lee, die bereits an einer Weiterentwicklung des Tests für Influenza A und B sowie Chlamydien und Gonorrhoe arbeitet, erhielt beim Online-Voting die meisten Stimmen, die bisher ein Preisträger seit Einführung des Publikumspreises 2013 erreicht hat.

Auch Nichteuropäer lassen ihre Erfindungen in Europa patentieren – wie der US-Amerikaner Robert Langer, 67, der den Preis für außereuropäische Erfinder erhält. Der Biotechnologe vom MIT hat ein Medikament gegen eine besonders aggressive Form des Krebses entwickelt. Das Glioblastom ist der häufigste und bösartigste Hirntumor. Trotz Operation und Bestrahlung führt er meist innerhalb eines Jahres zum Tod. Bisherige Ansätze zur Behandlung aus den 1970er-Jahren nutzen Medikamente, die den Tumor aushungern. Das funktioniert im Prinzip, allerdings verlieren diese Medikamente ihre Wirkung beim Transport durch den Blutkreislauf.

Langer verkapselt den Wirkstoff in einen Kunststoff, der direkt am Tumor implantiert wird und der das Medikament nach und nach abgibt. „Am Tumor ist die Konzentration hoch, im Rest des Körpers gering, dort richtet das Medikament keinen Schaden an“, erläutert Langer. Seit 1996 ist Langers Methode zugelassen, seitdem sind die Heilungschancen deutlich gestiegen. Mehr noch: Die bioabbaubaren Polymere, die als Depot des Wirkstoffs dienen, haben seither eine steile Karriere gemacht. Sie machen sich auch bei anderen Therapien nützlich, wo Wirkstoffe lokal freigesetzt werden sollen, etwa gegen Prostata-Krebs oder Endometriose.

Nicht lebensbedrohlich, aber ein großes Leid für Betroffene und Angehörige bedeutet die Diagnose Parkinson. An Bewegungsstörungen und Zittern der Gliedmaßen leiden weltweit bis zu 10 Mio. Menschen. Eine Art Hirnschrittmacher schafft Linderung. Das revolutionäre Verfahren zur Elektrostimulation des Gehirns gilt heute als Standard der Parkinsontherapie, 150 000 Patienten haben schon davon profitiert. Erfunden hat den Schrittmacher der französische Physiker und Neurochirurg Alim-Louis Benabid, 73, der mit dem Erfinderpreis in der Kategorie Forschung ausgezeichnet wurde.

Deutsche Physiker gewinnen Forschungspreis

30 Patente besitzen die deutschen Physiker Bernhard Gleich, 46, und Jürgen Weizenecker, 48, bereits beim Europäischen Patentamt. Für ihr wichtigstes haben sie jetzt den Erfinderpreis in der Kategorie Industrie erhalten. Magnetic Particle Imaging (MPI) steht für eine neue Generation der Bildgebung, mit der ein Blick in den Körper sehr schnell und auf den Millimeter genau möglich ist. Vor allem für die Diagnose von Herz- und Gefäßerkrankungen ist das Verfahren ein Fortschritt, aber auch in der Luftfahrtindustrie zur Beobachtung von Luftströmungen hat es Potenzial. Im Gegensatz zum MRT-Verfahren, das den schwachen Magnetismus von Wasserstoffkernen zur Bildgebung nutzt, sind es bei der Methode von Gleich und Weizenecker völlig ungefährliche magnetische Nanopartikel, die in die Blutbahn gespritzt werden. Der erste MPI-Scanner zur Früherkennung arbeitet seit 2014 am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).

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