IBM stärkt Quantencomputing in Europa mit neuem Datenzentrum
IBM hat in Baden-Württemberg sein zweites Quanten-Datenzentrum weltweit eröffnet. Forschung und Industrie können damit schnellere und bessere Quantencomputer nutzen.
Inhaltsverzeichnis
- Europas Rolle in der Quantenforschung gestärkt durch neues IBM Quantum Data Center
- Synergie von Quantencomputing, KI und Datenwissenschaft
- Quantencomputing als Ergänzung zu klassischen Rechenmethoden – Hybridmodelle kommen
- Deutschland als Vorreiter in der Quantenforschung – hohe Erwartungen
- Europäisches Quanten-Datenzentrum sichert regulatorische Anforderungen
IBM hat im baden-württembergischen Ehningen bei Stuttgart sein erstes Quantum Data Center außerhalb der USA eröffnet – und das zweite des Unternehmens überhaupt nach dem in Poughkeepsie im US-Bundesstaat New York. Dort wird laut IBM weltweit die größte Anzahl von Quantencomputern im Versorgungsmaßstab an einem einzigen Standort betrieben. Das Rechenzentrum in Poughkeepsie ist globaler Knotenpunkt für das IBM Quantum Network, das jetzt mit dem Standort in Ehningen die erste Erweiterung erfährt. Weitere sollen folgen.
Das Rechenzentrum bietet den neuesten IBM-Heron-Quantencomputer, der eine bis zu 16-fache Leistungssteigerung und 25-fache Geschwindigkeitsverbesserung im Vergleich zu den früheren IBM-Quantencomputern bietet (bezogen auf die Leistungsmessungen von vor zwei Jahren, so IBM). Dieses System sowie die zusätzlichen neuen Utility-Maßstab-Systeme, die ab sofort im IBM Quantum Data Center in Ehningen installiert sind, erweitern IBMs Quanten-Computerbasis weiter.
Europas Rolle in der Quantenforschung gestärkt durch neues IBM Quantum Data Center
Das neue Quantum Data Center soll das IBM-Netzwerk stärken, dem bereits 250 Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit angehören und Europas Rolle in der Quantenforschung unterstreichen. 80 davon, also gut ein Drittel, kommen aus Europa. Unternehmen wie Bosch, Volkswagen und das französische Bankhaus Crédit Mutuel sowie Institutionen wie die Universität des Baskenlandes und die Fraunhofer-Gesellschaft gehören dazu und planen, die neuen Systeme für die Entwicklung von Quantenalgorithmen zu nutzen. Die Anwendungsmöglichkeiten erstrecken sich vom Materialdesign über Lebenswissenschaften bis hin zu Finanzlösungen.
Neben der Hardware bietet IBM nach wie vor seine Entwicklungssoftware Qiskit. Sie ermöglicht Nutzern, Algorithmen zu entwickeln, die das volle Potenzial der neuen Quantencomputer möglichst ausschöpfen sollen. Javier Aizpurua von der Universität des Baskenlandes und wissenschaftlicher Direktor des BasQ, the Basque Quantum Strategy, sieht großes Potenzial aufgrund der neuen Quanten-Datenzentren: „Ein kombinierter Einsatz von Quantencomputing, KI und Datenwissenschaft, wenn er verallgemeinert wird, wird zu einem Szenario neuer Möglichkeiten nicht nur in der Grundlagenforschung, sondern auch in der industriellen Innovation führen.“
Synergie von Quantencomputing, KI und Datenwissenschaft
Wofür die Wissenschaft Quantencomputer wirklich braucht, darin gab Aizpurua einen Einblick: „Quantencomputing öffnet uns eine neue Tür“, sagte er, aber es sei noch längst nicht der Moment, an dem die Wissenschaft klassisches High Performance Computing (HPC) durch Quantencomputing ersetze. „Klassisches Computing und Hochleistungsrechnen auf den besten bisher entwickelten Niveaus sind sehr nützlich. Es ist nicht nur nützlich, diese sind der Stand der Technik, um Materialeigenschaften, Hochenergiephysik und Datenverarbeitung zu adressieren“, erläuterte er. „Die atomare Struktur in einem Festkörper und einer Zelle bestimmt zum Beispiel eine magnetische Eigenschaft oder Transporteigenschaft. All diese starken Korrelationen der Elektronenteilchenkomplexität müssen adressiert werden, und wir adressieren sie normalerweise recht gut mit klassischer Berechnung, mit Hochleistungsrechnen.“
Die Tür, die sich jetzt durch Quantencomputing öffne, erlaube Lösungen, die es ermöglichten, die Dynamik, Grundzustandseigenschaften und angeregte Zustandseigenschaften zu verstehen, die in der Teilchenphysik in klassischen Ansätzen nicht vollständig zu adressieren sei, so Aizpurua: „Das ist der Vorteil, den wir jetzt nutzen.“ Im BasQ arbeite er mit IBM derzeit dran, selbst vor Ort an einem Quantencomputer arbeiten zu können.
Quantencomputing als Ergänzung zu klassischen Rechenmethoden – Hybridmodelle kommen
Wichtig ist dieses Upgrade in Ehningen auch für die angewandte Forschung in Deutschland, die über eine Vereinbarung von IBM mit der Fraunhofer-Gesellschaft einen gesicherten, privilegierten Zugang zu den Ressourcen in Ehningen hat. Dieser Zugang wird auch in dem neuen Quantum Data Center fortgesetzt und so erhält zum Beispiel das Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg (KQCBW) Zugang zu den neuesten Quantencomputern von IBM inklusive des Heron-Quantum-Chips.
Ehningen, so Jay Gambetta, Vice President IBM Quantum, sei nicht nur ein Standort, an dem die Quantencomputer betrieben würden, es sei auch ein Forschungs- und Entwicklungslabor, betonte er auf die Frage, warum das zweite Quantum Data Center Standort in Ehningen sei. Es gebe dort eine Kombination von Talent und Fähigkeiten: „Ein Großteil unserer globalen Mission in Richtung Quantencomputing wird hier durchgeführt. Einer der Gründe, warum wir hierherkommen und alle Fähigkeiten in diesem Bereich nutzen, ist, dass wir die Entwicklung beschleunigen können.“ Die Leistung des Systems sei fünfmal schneller als bisher. „Die Beiträge, die diesen Erfolg ermöglicht haben, wurden tatsächlich vom Forschungs- und Entwicklungsteam hier geleistet“, so Gambetta.
Deutschland als Vorreiter in der Quantenforschung – hohe Erwartungen
Das korrespondiert mit einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom, deren Ergebnisse er Ende letzte Woche vorstellte. Demnach sehen deutsche Unternehmen ihr Land bei der Forschung zu Quantentechnologien auch weltweit in einer Vorreiterrolle und sind der Meinung, Deutschland könne auch führend in der Entwicklung und Anwendung von Quantum-Computing werden. Die Untersuchung mit 87 befragten Firmen sei zwar nicht repräsentativ, liefere aber ein aussagekräftiges Stimmungsbild, so der Verband. „Deutschland hat sich in der Quantentechnologie eine hervorragende Ausgangsposition erarbeitet, nun muss es uns gelingen, diese in marktgängige Produkte und Lösungen zu überführen“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Aufschlussreich ist daher auch, wo die deutschen Unternehmen Baustellen in diesem Bereich sehen: Die größte Herausforderung sei, dass die Technologie noch nicht ausgereift sei (55 % der Befragten) sowie der unklare wirtschaftliche Nutzen (43 %). Vor allem der erste Punkt spricht daher für IBMs Ansatz, die Leistung des Quantum Data Center via Cloud zur Verfügung zu stellen, da so die Unternehmen nicht selbst in die Hardware dieser Technologie investieren müssen.
Europäisches Quanten-Datenzentrum sichert regulatorische Anforderungen
Die Verfügbarkeit eines europäischen Quanten-Datenzentrums sichert dabei nicht nur die Nähe zur Datenverarbeitung, sondern hilft auch, regulatorische Anforderungen zu erfüllen, wie Frantz Rublé, Präsident von Euro-Information und stellvertretender CEO von Crédit Mutuel Alliance Fédérale, bestätigt: „Wir arbeiten daran, konkrete Anwendungen zu entwickeln. Die Verfügbarkeit dieses Quanten-Datenzentrums auf europäischem Boden berücksichtigt unsere Einschränkungen hinsichtlich der Nähe zur Verarbeitung und der Einhaltung von Vorschriften.“
IBM setzt damit die Strategie weiter fort, Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie frühzeitig mit dem Quantencomputing vertraut und es nutzbar zu machen – bevor noch ein sicherer und problemlos arbeitender Quantencomputer von der Stange überhaupt verfügbar ist. Die Zusammenarbeit mit europäischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen soll helfen, konkrete Anwendungsfälle für Quantenalgorithmen zu entwickeln, die Aufgaben aus den Bereichen Energie, Nachhaltigkeit und Finanzwesen lösen.