Ukraine-Konflikt 17. Feb 2022 Von Thomas A. Friedrich Lesezeit: ca. 4 Minuten

Wenn Russland den Gashahn zudreht: Woher kommen die Alternativen?

Die EU-Kommission setzt auf eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts. Parallel zum Truppenaufmarsch von Russland und Nato bemüht sich EU-Energiekommissarin Kadri Simson um neue Gaslieferverträge mit den USA und Aserbaidschan sowie um den Ausbau der Erneuerbaren im westafrikanischen Senegal.

Angesichts des angespannten Verhältnisses zu Russland geht die Angst in Europa um, Russland könne seine Gaslieferungen stoppen.
Foto: PantherMedia / witoldkr1

Die estnische EU-Energiekommissarin Kadri Simson ist seit Anfang Februar im Namen der EU auf drei Kontinenten unterwegs, um eine mögliche Unterbrechung russischer Gaslieferungen kurzfristig ausgleichen zu können.

Seit 2019 ist Simson im Team von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die Themen Energie und Versorgungssicherheit der EU verantwortlich. Angesichts der sich im Jahr 2022 wiederholenden Russland-Ukraine-Krise will die EU nun mehr Ernst machen mit ihrer Strategie der Diversifizierung von Gas- und Erdöllieferungen. Die Abhängigkeit der EU von russischen Gaslieferungen beträgt derzeit rund 40 %. Deutschlands Energieversorgung ist sogar zu 50 % vom Russengas abhängig. Was passiert, wenn jetzt dieser große Lieferant ausfallen sollte?

Diversifizierung lautet die Losung bereits seit 2010

Europas Anlauf zur Diversifizierung der Lieferbeziehungen und zur Verringerung der Abhängigkeit vom russischen Gastransfer geht auf den ersten russisch-ukrainischen „Gaskrieg“ des Jahres 2005 zurück. Damals lagen Kiew und Moskau im heftigen Streit über Gasdurchleitungsgebühren von russischen Gaskontingenten. Dem Konflikt kam damals große internationale Bedeutung zu, weil über die Ukraine im Jahr 2005 etwa 65 % des russischen Gasexports nach Europa flossen. 2010 waren es gar 75 %, weil die Ukraine selbst zu einem der größten Gasimporteure aufstieg.

Im Jahre 2017 beschlossen die EU-Staaten dann eine Verordnung zur „Gewährleistung der sicheren Gasversorgung“. Damit sollte für den Fall einer Versorgungskrise Vorsorge getroffen werden. Die sieht einen umfassenden Maßnahmenkatalog und die nationale Implementierung eines dreistufigen Eskalationssystems (Frühwarn-, Alarm- und Notfallstufe) vor. Darüber hinaus wurden die Mitgliedstaaten angehalten, im Rahmen von Präventions- und Notfallplänen ein präventives Krisenmanagement festzulegen. Des Weiteren verpflichteten sich die EU-Staaten auf gegenseitigen Beistand im Falle von Unterbrechungen zulasten einzelner Länder.

Hohe Gaspreise, niedrige Speicherstände – warum Deutschland zittern muss

Der sich durch massiven Truppenaufmarsch entlang der ukrainischen Grenze zuspitzende Konflikt hat zunächst Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf den Plan gerufen. Mit dem US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden vereinbarte die Kommissionschefin Anfang Februar eine EU-US-Energiepartnerschaft im Angesicht der Ukrainekrise: „Die Anzeichen, dass der Kreml Gaslieferungen weiterhin als politisches Druckmittel einsetzt, mehren sich. Deshalb müssen wir uns davon unabhängig machen und konsequent mit verlässlichen Gaslieferanten arbeiten. Daher bauen wir mit den USA eine Partnerschaft für Energiesicherheit auf, wobei es vor allem um mehr LNG-Gaslieferungen geht“, erklärte von der Leyen in Brüssel. Gleichzeitig kündigte sie an, auch mit anderen Gaslieferanten, zum Beispiel mit Norwegen, darüber reden zu wollen, Lieferungen nach Europa zu erhöhen. Ebenso sollen die Kapazitäten der europäischen Gasvorratsspeicher ausgebaut werden.

Mehr Gas über den südlichen Gaskorridor

Bevor Kadri Simson zum zweitägigen EU-US Energy Council nach Washington reiste, um die Erklärung der beiden Präsidenten mit Leben zu füllen, machte die EU-Energiekommissarin Station in Baku. In der Hauptstadt von Aserbaidschan nahm sie am Treffen des Beirats des Südlichen Gaskorridors statt. Über die Route vom Kaspischen Meer fließt via Georgien und Türkei seit zwei Jahren Gas nach Europa.

Der Südliche Gaskorridor verbindet das Shah-Deniz-Gasfeld vor Baku im Kaspischen Meer über drei große Pipelinekomplexe mit Europa. Die Südkaukasus-Pipeline bringt das Gas vom Gasfeld an die georgisch-türkische Grenze. Von dort aus strömt es durch die Tanap (Transanatolische Pipeline) zur türkisch-griechischen Grenze bzw. zur türkisch-bulgarischen Grenze (s. Grafik) und wird innerhalb Europas weiter verteilt: über die TAP nach Italien, über den Pipelineverbund BRUA in die Länder Südosteuropas hinein.

Gasversorgung Mittel- und Südeuropas aus Osteuropa und Asien (ausgewählte Pipelines) sowie die entsprechenden technischen Pipelinekapazitäten.

Kadri Simson traf Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev und Energieminister Parviz Shahbazov. „Mein erster Besuch in Baku verschaffte mir die Gelegenheit, in einer Serie von bilateralen Gesprächen mit unseren Partnern zu diskutieren, wie wir unsere Zusammenarbeit im Energiesektor intensivieren können“, sagte Simson vor der Presse. Die Infrastruktur des Südlichen Gaskorridors habe positive Auswirkungen auf die Partnerländer in der Region. Überdies trage das Projekt zur verlässlichen, wettbewerbsfähigen und bezahlbaren Energieversorgung in Südosteuropa bei. „Der Südliche Gaskorridor hat eine strategische Bedeutung für die Europäische Union“, unterstrich Simson.

Sie ermunterte die Aserbaidschaner, mehr Gas zu liefern: 10 Mrd. m3 anstatt wie bisher 8,1 Mrd. m3 im Jahr.

 

Den Verhandlungserfolg in Baku twitterte Simson gleich nach dem Treffen mit Energieminister Parviz Shahbazov: „Wir sind übereingekommen, unsere Partnerschaft zu intensivieren, sowohl im Gassektor als auch im Bereich der erneuerbaren Energien.“ Bisher ist Aserbaidschan noch ein kleiner Lieferant Richtung EU. Allein Nord Stream 1 transportiert bis zu 55 Mrd. m3 per annum. Ungarns staatlicher Energiekonzern MVM redet schon mit Baku über Gaslieferungen ab Ende 2023. „Aserbaidschan ist die derzeit einzige realistische Quelle zur Diversifizierung der europäischen Gasversorgung“, so Ungarns Außenminister Peter Szijjarto.

Aserbaidschan, als Staat in Vorderasien zwischen dem Kaspischem Meer und Kaukasus gelegen, verfügt über bedeutende Ölreserven und erlebt seit 2000 einen rasanten Wirtschaftsaufschwung.

Green Deal könnte Gaslieferungen aus Russland mittelfristig deutlich senken

Die Bedeutung des Green Deal strich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der vergangenen Woche besonders mit Blick auf anhaltende russische Gasdrohkulissen erneut heraus. Die EU baue mit Hochdruck die erneuerbaren Energien aus – von Solar über Wind bis hin zu Wasserstoff. „Deshalb ist der Europäische Green Deal unsere wirkungsvollste Versicherung gegen künftige Steigerungen bei Strom- und Energiepreisen. Jede Kilowattstunde Strom, die Europa mit Sonne, Wind, Wasserkraft und Biomasse erzeugt, macht uns unabhängiger von russischem Gas und anderen Energieimporten“, so von der Leyen.

Auch die neue Energiezusammenarbeit mit Afrika für den Ausbau erneuerbarer Energieressourcen steht auf dem Plan der 45-jährigen vormaligen estnischen Wirtschaftsministerin Kadri Simson. Nach ihren zweitägigen Gesprächen in Washington zur Vertiefung der transatlantischen Energiebeziehungen und der Vereinbarung über zusätzliche Lieferungen von LNG (Liquefied Natural Gas) nach Europa – basierend auf dem forcierten Schiefergasabbau in den USA – machte die EU-Energiekommissarin vor ihrer Rückkehr nach Brüssel noch einen mehrtägigen Abstecher in den westafrikanischen Senegal.

EU will im Senegal erneuerbare Strukturen aufbauen helfen

Das Land gehört zu den Partnerländern der unter der deutschen G20-Präsidentschaft 2017 initiierten Initiative „Compact with Africa“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die wirtschaftliche Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent durch verbesserte Rahmenbedingungen für Investitionen zu fördern. Deutschlands Know-how im Bereich der erneuerbaren Energien wird in Senegal sehr geschätzt. Trotz der gefundenen Gas- und Ölvorkommen hält die senegalesische Regierung an ihrem Ziel fest, 30 % des Strombedarfs durch erneuerbare Energien abzudecken. So fördert beispielsweise die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) den Bau eines Photovoltaikkraftwerks südlich von Dakar, das neben Privathaushalten auch die Sonderwirtschaftszone rund um den Flughafen Diass (ca. 40 km südöstlich von Dakar) mit Energie versorgen soll. Finanziert werden außerdem mehrere ländliche Inselnetze aus kleineren Photovoltaik- und Hybridanlagen.

In Dakar nahm Simson an einer Round-Table-Diskussion mit europäischen Firmen aus dem Erneuerbarensektor teil und besichtigte eine Solaranlage in Touba. Im Gespräch mit der Energieministerin Aissatou Sophie Gladima sicherte sie Senegal europäische Unterstützung bei weiteren Ausbauprojekten von erneuerbaren Energien zu.

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