Karriere 28. Okt. 2025 Von Alexandra Ilina Lesezeit: ca. 5 Minuten

Re-skilling als Firewall gegen Jobverlust

Ingenieurinnen und Ingenieure, die ihre Kompetenzen strategisch gezielt erweitern, verbessern ihre Perspektiven enorm. Das Zauberwort heißt Re-skilling.

Engineer in solar panels plant using VR to optimize layouts using CAD software
Kompetenzen für morgen: Re-skilling macht Ingenieurinnen und Ingenieure zukunftsfest.
Foto: DCStudio/Smarterpix

Re-skilling ist kein Weiterbildungsprogramm, sondern eine Art Gesellschaftsvertrag. Wir müssen lernen, schneller zu lernen – sonst wächst der Graben zwischen Technologie und Mensch unaufhaltsam.“ Oliver Kempkens, Executive Recruiter aus München, bringt damit auf den Punkt, worum es im modernen Arbeitsmarkt geht: Während Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen, fallen Stellen an anderer Stelle weg.

Dieses Nebeneinander von Mangel und Abbau ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern das neue Normal in einer Wirtschaft, die von Digitalisierung und technologischer Transformation geprägt wird. Re-skilling – das gezielte Erlernen neuer Fähigkeiten für veränderte oder gänzlich neue berufliche Rollen – wird zur entscheidenden Kompetenz, um diesen Wandel zu meistern. Anders als Up-skilling, das bestehende Fähigkeiten vertieft, bedeutet Re-skilling, sich strategisch neu zu erfinden.

Re-skilling als Identitätskrise

Für viele Mitarbeitende fühlt sich diese Aufforderung zunächst wie ein Schock an. „Für jemanden mit 25 Jahren Erfahrung ist das ein emotionaler und identitätsbezogener Schock. Wir definieren uns stark über unsere Arbeit und Anerkennung. Wenn wir plötzlich neu anfangen müssen, fühlt es sich an wie ein Rückschritt: ‚War alles, was ich gemacht habe, falsch?‘“, erklärt die Karriereberaterin Julia Auenstein von Neurozen.

Besonders erfahrene Fachkräfte, die über Jahrzehnte ihr Wissen und ihren Status aufgebaut haben, erleben Re-skilling als Bedrohung ihrer beruflichen Identität. Karriereberater Bastian Hughes, der u. a. Fachkräfte aus der Automobilindustrie bei der Neuorientierung begleitet, beschreibt eine weit verbreitete Lähmung: „Viele glauben, sie hätten ‚da draußen‘ ohnehin keine Chance, weil sie zu spezialisiert sind.“

Das Problem ist dabei keine Frage von Intelligenz oder Engagement, sondern tief in der menschlichen Neurobiologie verankert. „Wenn wir uns bedroht fühlen, reagieren wir instinktiv mit Fight, Flight oder Freeze – Kämpfen, Fliehen oder Erstarren“, weiß Business Coach Julia Augenstein. In ihrer Arbeit sorgt sie dafür, dass Veränderung nicht lähmt, sondern neue Perspektiven eröffnet. In diesem Zustand ist rationales Denken kaum möglich, und offenes Lernen wird blockiert. Augenstein weist darauf hin, dass Neuroplastizität zwar dem Gehirn ermögliche, sich anzupassen, emotional jedoch ein großer Verlust entstehe, da Status, Routine und teilweise soziale Kontakte verloren gingen. Deshalb sei ein früher Zugang zu Unterstützung entscheidend – idealerweise bereits während des Prozesses im Unternehmen und nicht erst nach dem Ausscheiden.

Unternehmen müssen daher Re-skilling als strategische Investition begreifen, die weit über reine Weiterbildungsmaßnahmen hinausgeht. Wer auf dem externen Arbeitsmarkt nach der „perfekten Fachkraft“ sucht, wird scheitern. Erfolgreich sind jene Organisationen, die das Potenzial der eigenen Mitarbeitenden erkennen.

Re-skilling als gelebte Praxis

Ein Paradebeispiel ist die Deutsche Bahn. Für hoch spezialisierte und sicherheitskritische Rollen wie die des Bezirksleiters gibt es keinen externen Markt. Die Verantwortung ist immens – wie Niko Georgiadis, Head of Talent Acquisition für Ingenieure bei der DB, erklärt: „Ganz klar sehen wir Re-skilling als Investition in die Zukunft. Ohne solche Programme hätten wir schlichtweg keine Chance, unsere Fachkräftebedarfe zu decken.“ Re-skilling ist bei der Deutschen Bahn keine Option, sondern gelebte Praxis. Über zwei bis zweieinhalb Jahre werden erfahrene Ingenieure berufsbegleitend auf neue Aufgaben vorbereitet. Vollständige Bezahlung, Integration ins Team und erfahrene Kollegen als „Buddies“ schaffen psychologische Sicherheit, die es überhaupt erst ermöglicht, neue Kompetenzen zu erlernen.

Georgiadis betont: „Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus, muss ich sagen. Manche sind überrascht oder denken zunächst: ‚Ich habe doch schon viel Erfahrung, warum jetzt noch einmal ein spezielles Programm?‘ Aber wir bereiten die neuen Kolleginnen und Kollegen von Anfang an sehr gut darauf vor“, sagt Georgiadis. Das Re-skilling-Programm sei also nicht als Kritik an ihrer bisherigen Erfahrung zu verstehen, sondern als gezielter Ausbau ihrer Kompetenzen. „Dass wir das Thema gesellschaftlich breiter verstehen: Re-skilling ist kein Zeichen von Defizit, sondern von Zukunftsfähigkeit – für Unternehmen wie für Individuen“, resümiert Georgiadis.

Doch auch die Mitarbeitenden selbst müssen aktiv werden, um den Weg vom Stillstand zu neuen Perspektiven zu finden. Bastian Hughes empfiehlt einen pragmatischen dreistufigen Ansatz: zunächst die eigenen, oft unbewussten Fähigkeiten identifizieren; dann den Blick nach außen richten, um Branchen zu finden, die diese Skills benötigen; und schließlich die Lücke zwischen aktuellem und gewünschtem Profil gezielt schließen.

Auch interessant: So zahlen sich Re-skilling und Weiterbildungen aus

Skill-Gaps erkennen und schließen

Und genau hier setzt z. B. der VDMA ein: „Man müsste eine Übersicht über die Kompetenzen im Unternehmen haben – eine Skill-Matrix. Was kann jeder einzelne Mitarbeiter an seiner bestimmten Aufgabe? Das ist das Ist-Profil. Und was für Anforderungen gibt es in diesem Job? Das ist das Soll-Profil. Daraus ergibt sich der Skill-Gap: Was müsste der oder diejenige noch machen, um dieses Soll-Profil zu erfüllen?“, erklärt Jörg Friedrich, Geschäftsführer VDMA Mitte und Abteilungsleiter Bildung. Er sagte, dass man durch eine genaue Beschreibung eine gute strategische Personalplanung durchführen könne. Dazu müsse man prüfen, welche Kompetenzen die Mitarbeitenden mitbrächten. Wenn jemand auf seiner Position bleiben solle, müsse er vorhandene Skill-Gaps schließen – etwa mehr IT-Kenntnisse erwerben oder interdisziplinärer denken. Diese Skill-Gaps bestimmten, welche Weiterbildungsmaßnahmen für die jeweilige Stelle notwendig seien. Friedrich ist überzeugt: „Weiterbildung und Re-skilling ist ureigenste Aufgabe der Unternehmen, weil nur sie wissen, was sie wirklich brauchen. Diese Verantwortung sollte bei ihnen bleiben – der Staat sollte hier sich mit Regulierungen weitgehend zurückhalten.“

Bastian Hughes nutzt dafür eine treffende Metapher: „Re-skilling ist wie Sprachen lernen. Du kannst das Gleiche sagen, aber mit anderen Worten – und plötzlich versteht dich eine ganz neue Branche.“ Praktisch bedeutet das etwa, branchenübergreifende Begriffe im Lebenslauf zu verwenden, um Türen zu neuen Sektoren zu öffnen.

Lernen als Währung: Wie Sicherheit und Führung Innovation ermöglichen

Die zentrale Voraussetzung für diesen Prozess ist psychologische Sicherheit durch Führungskräfte, wie Augenstein betont. Nur wer sich sicher fühlt, kann den mentalen Überlebensmodus verlassen, das Gehirn für Kreativität öffnen und Neues lernen. Re-skilling wird so zu weit mehr als einer Fähigkeit: Es ist der Mechanismus, der technologische Disruption und menschliches Bedürfnis nach Stabilität in Einklang bringt. Erfolgreiche Transformation beruht auf drei Säulen: der Bereitschaft des Einzelnen, der strategischen Investition der Unternehmen und einer Führungskultur, die Sicherheit vor Angst setzt.

Oliver Kempkens fasst die Tragweite prägnant zusammen: „KI ersetzt keine Menschen – sie ersetzt nur jene, die sich nicht weiterentwickeln. Re-skilling ist die Firewall gegen digitale Obsoleszenz, zumindest vorerst.“ Wer diesen Gesellschaftsvertrag ernst nimmt, erkennt, dass Lernen nicht länger eine Option, sondern die entscheidende Währung für Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt ist.

Auch interessant: Re-skilling: Chancen statt Jobverlust in der Arbeitswelt der Zukunft

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