Elektrogeräte automatisiert demontieren
Forschende am Fraunhofer IFF wollen die Demontage alter Elektrogeräte vereinfachen. Für die verschiedenen Teilprozesse haben sie bereits Lösungen, jetzt geht es um deren Verkettung.

Foto: Fraunhofer IFF
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Das zeugt von Selbstvertrauen: „Wir wollen die Demontage von Elektroschrott revolutionieren“, sagt José Saenz, Gruppenleiter Assistenz-, Service- und Industrieroboter am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, zum aktuellen Forschungsprojekt für die „Intelligente Demontage von Elektronik für Remanufacturing und Recycling“ – kurz iDEAR.
Hintergrund ist, dass immer mehr Elektrogeräte produziert und weggeworfen werden. Statt brauchbare Komponenten im Sinne der Kreislaufwirtschaft erneut zu verwenden, landen die Altgeräte bestenfalls im Schredder und werden stofflich mit hohem Energieaufwand wiederverwertet. Mit dem Wiederverwertungsansatz sollen also sowohl der Material- als auch der Energieeinsatz reduziert werden.
Ganz neu ist die Idee nicht. Apple hatte bereits 2018 seinen Demontageroboter Daisy vorgestellt, der alte Smartphones automatisiert auseinandernimmt. Die KIT-Ausgründung Desoltik präsentierte im November 2023 auf der Messe SPS in Nürnberg eine Anlage, die Halbleiter auf Platinen identifiziert und voll automatisiert entlötet. Und an der RWTH Aachen wird eine Fabrik zur automatisierten Montage und Demontage von Automobilen erprobt. Statt alte Autos zu verschrotten, sollen sie dort nach einem Lebenszyklus aufgefrischt (refurbished) werden, wie es z. B. bei alten Smartphones bereits praktiziert wird. Was ist also besonders an dem Ansatz der Magdeburger?
Elektrogeräte demontieren: KI und hochpräzise Messtechnik übernehmen automatisierte Identifikation von Baugruppen
Saenz erklärt: „Aktuelle Lösungen sind mit hohem Engineeringaufwand verbunden oder beschränken sich auf eine bestimmte Produktgruppe. Im Projekt iDEAR streben wir eine datengetriebene Methodik an, damit von PCs über Mikrowellen bis hin zu weißer Ware möglichst verschiedene Produkte mit geringem Engineeringaufwand und in Echtzeit demontiert werden können.“ Zunächst fokussieren sich die Forschenden in Magdeburg dabei auf die automatisierte Demontage von PCs. Das Verfahren soll aber langfristig auf beliebige Geräte wie etwa Waschmaschinen erweiterbar sein.
Die Forschenden vom Fraunhofer IFF beschreiben den Prozess so: „Nachdem die Waren angeliefert und vereinzelt wurden, steht die Identifikation und Befundung am Anfang der Prozesskette.“ Dabei erfassten KI-basierte 3D-Kamera-Lösungen und optische Sensorsysteme Etiketten mit Angaben zu Hersteller, Produkttyp und -nummer. Die Technik erkennt damit Typ und Lage von Bauteilen. Sie überprüft Geometrien und Oberflächen, bewertet den Zustand von Verbindungselementen wie Schrauben und Nieten und detektiert Anomalien.
„Optische Messtechnik hilft, Etiketten zu erfassen und unterschiedliche Bauteile wie Schrauben zu sortieren. Zuvor trainierte Machine-Learning-Algorithmen und KI werten die Bilddaten aus und ermöglichen die Erkennung und Klassifizierung von Materialien, Kunststoffen und Komponenten auf Basis von Sensor- und Spektraldaten in Echtzeit“, verdeutlicht Saenz. Dadurch erkennt die KI z. B. auch, ob eine Schraube verdeckt angebracht oder verrostet ist. Alle notwendigen Daten werden dazu in einem digitalen Demontagezwilling festgehalten. Der Zwilling ist quasi eine Instanz des Produkts. Der wird um weitere Informationen ergänzt, wenn beispielsweise schon einmal ein ähnliches Produkt demontiert wurde.
In Demontagesequenzen definieren die Forschenden die Art der Rückgewinnung
Erst jetzt geht es um die Strategien für die Zerlegung der Baugruppe. Saenz und sein Team legen dazu in einer Software die Demontagesequenzen fest, die unter anderem definieren, ob eine vollständige oder partielle, also nur auf die Rückgewinnung hochwertiger Komponenten gerichtete Demontage stattfinden soll. Hier spielt es eine wichtige Rolle, wie Komponenten zuvor montiert wurden. Beispielsweise verhindern verklebte Komponenten oder andere Fügeverbindungen eine zerstörungsfreie Demontage. Auch verrostete Schrauben, verschlissene Schraubköpfe oder deformierte Komponenten sind nicht dafür konzipiert.
Erst auf Basis dieser High-Level-Informationen startet der Demontageprozess. Der Roboter erhält eine Reihe von abzuarbeitenden Anweisungen und Abläufen. Er bekommt beispielsweise Informationen, an welchen Stellen Schrauben am Gehäuse entfernt werden müssen, um an das Innenleben zu kommen. Sofern erforderlich, wechselt die Maschine zwischen den einzelnen Arbeitsschritten das Werkzeug.

Zu den in den Demontagesequenzen festgelegten Skills gehören Roboterhandlungen wie schrauben, heben, schneiden, herausziehen, lokalisieren, neu positionieren, anfahren, ablegen, Hebel betätigen, aber auch biegen, brechen, Kabel schneiden. Die kann der Demontageroboter laut den Forschenden am Fraunhofer IFF komplett eigenständig ausführen. In Tests ist es damit sogar gelungen, ein Mainboard aus einem PC-Gehäuse zu nehmen. Für die Wissenschaftler ist das eine sehr komplexe Aufgabe, die ein hohes Maß an Feinfühligkeit verlangt. „Hier haben wir KI eingesetzt“, erläutert Saenz. Ein KI-Agent trainiert die Lösung zunächst an einem im Simulationsmodell abgelegten Prozess. „Später übertragen wir die so trainierte Roboterhandlung auf den realen Versuchsaufbau. Bei einfachen Skills wie beispielsweise lokalisieren ist das nicht erforderlich, dort nutzen wir Sensor- und Kameradaten“, berichtet der Forscher.
Demonstratoren für verschiedene Teilprozesse der Demontage sind aufgebaut
Für die verschiedenen Teilprozesse haben die Forschenden am Fraunhofer IFF einzelne Demonstratoren aufgebaut. Eine Station übernimmt die Identifikation und Befundung von PCs. Ein anderer Demonstrator zeigt die Verknüpfung des Bewertungsmodells zum Digitalen Zwilling des Produkts und der Demontagesequenz. Einer zeigt, wie Skill-basierte Roboterhandlungen zur Demontage automatisch ausgeführt werden. Ein weiterer generiert KI-basierte Roboterhandlungen zur Entnahme von Motherboards aus dem Gehäuse.
Nun gilt es, die Demonstratoren miteinander zu verketten. Ziel ist ein Demonstrator, der alle technologischen Entwicklungen integriert und die Verkettung automatisierter Demontageprozesse abbildet. Für den Forscher wäre das ein großer Fortschritt. Er sagt: „Recycling und Remanufacturing sind ein Schlüssel für produzierende Unternehmen, um den Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Die Rückgewinnung der Materialien reduziert nicht nur die Umweltbelastung durch Elektronikschrott, sondern stellt eine wertvolle Rohstoffquelle für neue Produkte dar.“
Mit Material vom Fraunhofer IFF