AGRITECHNICA 09. Nov 2017 Oliver Klempert Lesezeit: ca. 4 Minuten

Damit Traktoren nicht blockieren

Schlepper können wie andere Fahrzeuge beim Bremsen ins Rutschen geraten. Pkw verfügen daher längst über Antiblockiersysteme. Diese könnten auch für Landmaschinen bald Pflicht werden.

Traktoren erreichen oft Geschwindigkeiten über 30 km/h. In Gefahrensituationen kann jeder Meter Bremsweg darüber entscheiden ob ein Unfall verhindert werden kann. Antiblockiersysteme könnten dabei helfen.
Foto: panthermedia.net/Thomas_koschnick.gmx.net

Fährt der Landwirt mit dem Traktor nach der Feldarbeit durch das Dorf zum heimischen Hof, sind die Reifen des Fahrzeugs oft schmutzig und damit rutschig. Passiert dann Unvorhergesehenes, ist der Landwirt zur Vollbremsung gezwungen. Derzeit passiert dann Folgendes: Die Räder blockieren und das Fahrzeug und ggf. Anhänger rutschen nahezu unkontrolliert über die Straße.

Traktoren in Deutschland

Der Bestand an Traktoren in Deutschland liegt nach Angaben des Branchenverbands VDMA in 2017 bei knapp über 1.4 Mio. Erfasst sind darin alle Traktoren, die zugelassen sind und somit auf öffentlichen Straßen fahren dürfen.
Mehr als 1 Mio. Traktoren sind alter als 14 Jahre. Die Zahl der „aktiven“ Traktoren, also Traktoren die nahezu täglich im professionellen Einsatz sind, liegt laut VDMA bei 300 000 bis 350 000.
Einen Schwerpunkt im Unfallgeschehen mit Traktoren bildete lange Zeit ihr Umstürzen oder Umkippen. Die Zahl der jährlich Getöteten lag bis etwa 1970 bei über 200.
Durch Einführung einer Umsturzschutzvorrichtung hat sich die Zahl der durch umkippende Traktoren Getöteten bis zum Jahr 2010 auf weniger als 20 Personen jährlich verringert.okl

Unfälle mit Personenschaden werden auf deutschen Straßen verhältnismäßig selten von Traktoren verursacht – zumindest im Vergleich mit der Zahl der Pkw-Unfälle. Laut Statistischem Bundesamt gab es im vergangenen Jahr rund 1900 Unfälle bei denen Menschen durch landwirtschaftliche Zugfahrzeuge zu Schaden kamen. Zum Vergleich: Beim Automobil war das im vergangenen Jahr bei rund 308 000 Unfällen der Fall. Trotzdem bedeutet dies, dass jeden Tag in Deutschland durchschnittlich fünf Personen durch landwirtschaftliche Fahrzeuge verletzt werden. Ein Grund: Viele Traktoren müssen regelmäßig auf Straßen und durch Ortschaften fahren, um zu ihrem Zielort zu gelangen – und dies, obwohl sie nicht in erster Linie dafür ausgelegt sind, auf öffentlichen Straßen unterwegs zu sein.

Wie für andere Straßenfahrzeuge bereits seit langem, ist der Einbau eines Antiblockiersystems (ABS) daher auch für landwirtschaftliche Zugmaschinen sinnvoll. Durch das System werden die Seitenführungskräfte der Reifen selbst unter Vollbremsung sichergestellt, sodass Stabilität und Lenkfähigkeit eines Fahrzeugs auch in kritischen Situationen gewährleistet sind.

Obwohl Digitalisierung und Automatisierung in den vergangenen Jahren bei Landmaschinen schnell voran schreiten, scheint die Branche bei Bremssystemen hinterher zu hinken. So stand das Antiblockiersystem – seit 1991 bereits zulassungspflichtig für Lkw mit über 3,5 t zulässigem Gesamtgewicht und Busse mit mehr als acht Sitzplätzen – im Agrarbereich in der EU-Regulierung über Jahre nicht auf der Agenda.

Erst im Januar 2016 trat in der EU eine neue Regelung für Bremssysteme in landwirtschaftlichen Fahrzeugen in Kraft. Seitdem gelten für die Funktionssicherheit von Traktoren die gleichen Anforderungen wie bei anderen Nutzfahrzeugen wie Lkws und Bussen. Die Gesetzgebung zielt darauf ab, die Sicherheitsnormen der landwirtschaftlichen Fahrzeuge zu erhöhen, um so dem gestiegenen Verkehrsaufkommen der vergangenen Jahre sowie einer dichteren Infrastruktur gerecht zu werden. Ein entscheidender Aspekt der neuen Gesetzgebung ist ein Antiblockiersystem, das für neue Traktoren mit Fahrgeschwindigkeiten von über 60 km/h verpflichtend ist. Nun will die Europäische Kommission noch einen Schritt weitergehen und testet aktuell, ob ABS künftig auch für Traktoren mit Geschwindigkeiten zwischen 40 km/h und 60 km/h verpflichtend sein sollte. Dieser Vorschlag könnte große Auswirkungen haben, da gerade dieser Geschwindigkeitsbereich einen Großteil der Traktoren betrifft, die auf deutschen Straßen unterwegs sind. Diese Regelung würde ab dem Jahr 2020 für alle neuen Fahrzeugtypen in Kraft treten. Ab 2021 soll ABS dann in einem zweiten Schritt für alle neuen Fahrzeuge verpflichtend sein.

Für die finale Validierung und Umsetzung dieses Teils der Verordnung muss jedoch nachgewiesen werden, dass die ABS-Technologie für landwirtschaftliche Fahrzeuge in diesem Geschwindigkeitsbereich auch tatsächlich anwendbar ist. Das Problem: Der überwiegende Anteil der Traktoren wird hydraulisch gebremst. Die Herausforderung für die ABS-Technologie liegt darin, dass hydraulische Bremssysteme auf Basis von Mineralöl mit entsprechender Viskosität operieren und es sich dabei um ein eher reaktionsträges Medium handelt. Zudem haben Traktoren unterschiedliche Radgrößen an der Vorder- und Hinterachse – eine zusätzliche Herausforderung für das ABS, da hier unterschiedliche Kräfte wirken.

Um diesen Nachweis zu erbringen, hat die Europäische Kommission Ende 2016 mit einer offiziellen Validierungsphase begonnen, die im abgelaufenen Sommer zu Ende gegangen ist. Die Ergebnisse stehen noch aus. Dennoch: „Das Antiblockiersystem ist ein Schlüsselsystem, um das Bremsen und die Fahrstabilität zu verbessern, und so gleichzeitig die Fahrzeugsicherheit für den Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer zu erhöhen“, erklärt Christian Brenneke, Vizepräsident Produkt-Engineering beim Nutzfahrzeugzulieferer Wabco. Das Unternehmen sitzt in Brüssel und bietet für den Agrarsektor ein Portfolio von komplett pneumatischen und hydraulischen Brems- und Steuerungssystemen an.

Neben Sicherheitsaspekten wie der verbesserten Lenkbremssteuerung biete ABS darüber hinaus aber noch weitere Vorteile, etwa eine verbesserte Effizienz des Fahrzeugs und einen höheren Fahrkomfort. Brenneke: „Zum Beispiel bietet das ABS Funktionalitäten wie eine Berganfahrhilfe und eine Traktionsregelung, die das Fahrzeug während des Anfahrens stabilisiert. Außerdem hilft das System unter anderem, den Wenderadius bei der Kurvenfahrt zu reduzieren.” Insgesamt optimiere ABS die Fahrzeugbetriebszeiten und minimiere Service- und Reparaturkosten. Auch sei ein elektrisches Bremssystem wie ABS die Voraussetzung, um dem zunehmenden Trend von voll- oder teilautomatisierten landwirtschaftlichen Fahrzeugen gerecht zu werden.

Mittlerweile hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit dem TÜV Nord erfolgreich die Anwendbarkeit von ABS für pneumatische und hydraulische Bremssysteme bei Traktoren auf der hauseigenen Teststrecke in Jeversen belegt. Hier zeigte sich, dass die ABS-Technologie für sämtliche Fahrzeuge sowie Bremstechnologien anwendbar ist – egal ob sie mit Druckluft oder Hydrauliköl betrieben werden.

Der Europäische Dachverband der Landmaschinenindustrie (CEMA) hat sich Ende September indes gegen eine verpflichtende Ausstattung mit ABS-Bremssystemen bei Traktoren mit einer Höchstgeschwindigkeit zwischen 40 km/h und 60 km/h ausgesprochen. Seiner Meinung nach sei keineswegs nachgewiesen, dass eine solche Maßnahme zu spürbaren Vorteilen in Bezug auf die Verkehrssicherheit führe – ohne einen greifbaren Nutzen gebe es jedoch auch keine Rechtfertigung für die hohen Kosten, die dann auf Hersteller und Landwirte zukommen würden. Die Kommission habe bisher nicht den Nachweis erbringen können, dass ABS-Systeme bei landwirtschaftlichen Traktoren mit einer Höchstgeschwindigkeit unter 60 km/h die Verkehrssicherheit verbesserten, hieß es von der CEMA. Ohnehin sei in 22 der 28 EU-Mitgliedstaaten die Höchstgeschwindigkeit der Maschinen per Gesetz auf 40 km/h begrenzt. Von der CEMA wird eine interdisziplinäre Dialoggruppe gefordert, die die verfügbaren Daten noch einmal genau analysieren soll.

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