Kommentar 20. Sep 2024 Volker M. Banholzer Lesezeit: ca. 5 Minuten

Deutschlands Innovationskraft stagniert, oder?

Laut BDI-Innovationsindikator 2024 kommt Deutschland nicht an die Spitzennationen heran. Und der Draghi-Report stellt Europa insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus. Aber es gibt Ideen, das zu ändern.

Laut BDI-Innovationsindikator 2024 kommt Deutschland nicht an die Spitzennationen heran. Und der Draghi-Report stellt Europa insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus. Aber es gibt Ideen, das zu ändern.
Foto: PantherMedia / Gorodenkoff

It’s Innovation, Stupid! Das Eröffnungsmotto am Beginn des „Innonation Festivals 2024“ des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) bringt es auf den Punkt oder vielleicht besser legt den Finger in die Wunde.

Deutschland ist im neuen Ranking von BDI, Fraunhofer ISI, ZEW und Roland Berger unter 35 untersuchten Nationen auf Rang 12 – etwas schlechter als 2023 und mit konstantem Abstand zur Spitzengruppe aus Schweiz, Singapur und Dänemark. Knapp eine Woche zuvor richteten sich die Augen auf den ehemaligen EZB-Präsident Mario Draghi, der Versäumnisse des Innovationsstandorts Europa in einem nach ihm benannten Bericht auflistete, dem Draghi-Report. Der Spiegel-Kolumnist Sasha Lobo lobte den Report mit den Worten, „Harte Wahrheiten statt der üblichen Wirklichkeitsvermeidung“. Und ja, das Innovationssystem Deutschlands tritt seit Jahren auf der Stelle.

Aber so dystopisch wollten weder der BDI-Präsident Sigfried Russwurm noch Wirtschaftsminister Robert Habeck diese Diagnosen auf der Innonation stehen lassen. Denn neben hochinnovativen Branchen in Deutschland wie dem Maschinenbau oder der Raumfahrt gebe es auch konkrete Ansatzpunkte, wie die Situation insgesamt verbessert werden kann. Aber es werde langwierig und anstrengend. Hier ein Versuch einer Diagnose, der Deutung und Impulse für eine notwendige Debatte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Hinkende Digitalisierung, Investitionsstau und fehlender Transfer

Die Analyse von Draghi: Europa hat die digitale Revolution und die damit eihergehenden Produktivitätsgewinne verpasst. Der Technologiesektor sei ein Problem und sei Grund für den Produktivitätsunterschied zwischen EU und USA. Aber vor allem skalierten EU-Unternehmen nicht, die EU – und gerade auch Deutschland – investiere nicht ausreichend in Forschung und Entwicklung, es gebe zu viel Bürokratie und ein Qualifikationsdefizit in der gesamten Wirtschaft und zu wenig Wagniskapital.

Für Deutschland beklagt das Forschungsteam hinter dem Innovationsindikator 2024 aus Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) sowie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) auch, dass lange bekannte Defizite nicht oder zu langsam angegangen und durchaus vorhandene Chancen nicht ausreichend genutzt werden. In Deutschland sei insgesamt in vielen Bereichen weiterhin ein Investitionsstau zu konstatieren, Investitionen in den Wissens- und den Kapitalstock waren und sind zudem laut Innovationsindikator zu niedrig.

Licht und Schatten

Dass Deutschland seit Jahren nicht an die Spitzen-Innovatoren herankommt ist richtig. Das zeigt der Blick auf den Innovationsindikator der Vorjahre, das bestätigt das European Innovation Scoreboard. Allerdings, die Spitzenreiter sind allesamt kleinere Volkswirtschaften. Vergleicht man vor diesem Hintergrund eher Regionen in Deutschland, dann sieht die Bilanz durchaus differenzierter aus.

Im Innovationsindikator 2024 werden Baden-Württemberg und Sachsen genauer betrachtet und dabei schneidet „The Länd“ deutlich besser ab als Deutschland in der Gesamtbetrachtung, nämlich auf Platz vier aber mit rund zehn Wertungspunkten hinter den Spitzenreitern Schweiz, Singapur und Dänemark. Die Perspektive auf Regionen wendet auch das Regional Innovation Scoreboard der EU-Kommission an. In dieser Erhebung von 2023 zählen die Regionen Oberbayern und Mittelfranken, die Räume Karlsruhe, Stuttgart und Freiburg als „Innovation Leader“.

Auch der Blick in einzelne Kategorien zeigt ein eher heterogenes Bild. Beim Indikator „Neue Produktionstechnologien“ ist Deutschland auf Platz 2, bei Energietechnologien, zwar mit deutlichen Abstand zur hier führenden Volkswirtschaft Dänemark, auf einem Platz 3. In der Kategorie Kreislaufwirtschaft bleibt Deutschland wie im vergangenen Jahr Spitze und beim Indikator Nachhaltigkeit wird ein Platz 3 ausgewiesen. Auch kann Deutschland im Indikatorfeld „Schaffung von Wissen“ aktuell Stärke zeigen, wenn auch das Wissenschaftssystem insgesamt nicht mehr zur Spitze zähle.

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Zum Dauerthema Digitalisierung kommen weitere Schwächen im Segment der Schlüsseltechnologien hinzu, bei welchen Deutschland ebenso stagniert. Bei der Umsetzung von Wissen in Innovation, dem Bereich, der als Transformation bezeichnet wird, zeigt Deutschland zudem Schwächen. Auch Wirtschaftsminister Habeck mahnt auf dem Innonation Festival an, Deutschland müsse besser darin werden, Start-ups, Unicorns zu größeren Unternehmen wachsen zu lassen, zu skalieren wie Draghi es ausdrückt.

Und: Große Unternehmen in Deutschland hätten noch nicht gelernt, mit Start-ups zu reden oder besser zu kooperieren, wie zum Beispiel Grzegorz Ombach, Head of Disruptive R&T bei Airbus, in einer Session des Innonation Festivals einräumt. Auch sollten die KMUs mehr in den Innovationsfokus gerückt werden, weil Innovation in Deutschland vor allem durch international agierende Konzerne getragen werde. Es brauche mehr mittelständische Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle in Richtung Innovation, neue Technologien und globale Vermarktung ausrichten, so der Innovationsindikator.

Die notwendige Debatte: It’s Innovation, Stupid!

Es geht um Geld, klar. Dass Start-ups bessere Finanzierungen, vor allem auch nach der unmittelbaren Gründungsphase brauchen, das ist bekannt und wird auch bearbeitet. Die Start-up-Strategie aus dem Jahr 2022 zeige erste Wirkungen aber gerade die Verstetigung und die Förderung von Wagniskapital für die Skalierung sind bleibende Aufgaben.

Die Forschungszulage, die steuerliche F&E-Förderung, zeigt nach den Auswertungen des Innovationsindikators bereits Wirkung und muss demzufolge fortgeschrieben werden. Die Aufwendungen für F&E seien zwar in Relation zum BIP gestiegen aber die öffentliche Hand habe ihr finanzielles Engagement schrittweise reduziert und damit das verabredete Verhältnis von zwei Dritteln privaten zu einem Drittel öffentlichen Ausgaben in diesem Bereich infrage gestellt.

Es geht um Struktur. Um einen Punkt einfach zu machen – auch Leuchttürme brauchen ein gutes Fundament. Empfehlungen gerade im Wissenschaftssystem mehr in Exzellenz und Leuchttürme zu investieren findet allgemein Zustimmung und das empfiehlt auch der Innovationsindikator. Dem hält Tanja Brühl, die Präsidentin der TU Darmstadt, allerdings entgegen, dass die Grundlagenforschung erst die Voraussetzungen schaffe, um exzellente Forschung und dann Transfer betreiben zu können.

Ein weiterer Punkt sind die Impulsgeber und Intermediäre im Innovationssystem. Mit der Agentur für Sprunginnovationen SPRIND hat Deutschland einen wichtigen Baustein für Förderung neuer Ideen geschaffen. Dass die aktuelle Regierung erst ein SPRIND-Freiheitsgesetz auf den Weg bringen musste, beleuchtet die zweite Seite der Medaille, die unbedingt angegangen werden muss – die Bürokratisierung.

Bei Innovationsagenturen hat Deutschland zudem zwei weitere Besonderheiten. Einerseits wurde, entgegen des immer wieder zitierten Vorbilds der amerikanischen DARPA, zivile und militärische Innovationsforschung in Cyberagentur und SPRIND getrennt. Und andererseits stottert die Gründung der Institution immer noch, die eigentlich Transfer und die Integration von sozialen und technischen Innovationen begleiten sollte, die DATI (Deutsche Agentur für Transfer und Innovation).

Die Trennung von ziviler und militärischer Forschung soll auch nach dem Innovationsindikator überdacht werden. Und die DATI-Gründungskommission hat jüngst auch mit einschlägigen Untertönen in einem Bericht auf den zu langen Prozess der Etablierung der Agentur hingewiesen. Gerade die DATI wäre auch ein wichtiges Element um ein weiteres Problem angehen zu können.

Deutschland soll sich mehr zutrauen

Es geht nämlich auch um Einstellung und die Gesellschaft als Ganzes. Sowohl BDI-Präsident Russwurm als auch Minister Habeck forderten, die gesellschaftliche Akzeptanz von Innovation zu fördern. Man solle sich in Deutschland mehr zutrauen, so der Wirtschaftsminister. Das Ziel müsse sein, Deutschland als „Willkommensraum für Innovationen zu etablieren“ und damit auch interessant für internationale Investitionen zu sein. Russwurm unterstrich, man müsse den Akteuren im Forschungs- und Innovationsbereich mehr zutrauen also auch mehr Vertrauen entgegenbringen.

Das setzt aber eine Debatte in der Gesellschaft voraus, die zwischen den Akteuren, den Unternehmen, politischen Gremien, Wissenschaftseinrichtungen und der Zivilgesellschaft geführt werden muss. Und diese Debatte muss auch von den Medien aufgegriffen und auch moderiert werden. Innovationskommunikation und Innovationsjournalismus jenseits der Wissenschaftskommunikation müssen mehr in den Fokus rücken.

Die Ergebnisse des Innovationsindikators oder des European Innovation Scoreboard sowie der Draghi-Report weisen auf Defizite hin, die Europa und ganz besonders auch Deutschland für sich dringend bearbeiten müssen. Es liegen aber auch konkrete Lösungsansätze auf dem Tisch. Die Debatte darüber muss geführt werden, die schon zur Verfügung stehenden Konzepte genutzt und dann auch die Schritte in die Richtung zu einer „Innonation“ weitergegangen werden. Ein unabdingbarer Aspekt dabei: Der BDI-Präsident Russwurm wünscht sich einen „Konsens der Demokraten, was Innovation betrifft“, denn „Innovation und Investition halten sich nicht an Wahlperioden“.

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