Wachstumskritik 13. Feb 2023 Von W. Schmitz und A. Weikard Lesezeit: ca. 8 Minuten

Endliche Ressourcen, ewiges Wachstum – geht das?

Die Publizistin Ulrike Herrmann diskutiert mit Ifo-Präsident Clemens Fuest darüber, ob der marktwirtschaftliche Wachstumsdrang mit dem Erreichen der Klimaziele vereinbar ist oder die Wirtschaft auf Schrumpfkurs gehen muss.


Foto: [M] PantherMedia / olly18 / VDIn / gs

VDI nachrichten: Wenn das Wachstum lahmt, gerät die Politik in Aufregung. Konjunkturpakete werden verabschiedet, Steuersenkungen erwogen. In der Vergangenheit reagierten auch die Zentralbanken oft mit Zinssenkungen. Warum ist das eigentlich so? Kommt die Marktwirtschaft nicht ohne Wachstum aus?

Ulrike Herrmann: Ohne Wachstum bricht die Wirtschaft zusammen. Mindestens drei Phänomene erklären diesen Wachstumszwang. Erstens: Wachstum ist nur möglich, wenn Kredite aufgenommen werden. Umgekehrt können diese Kredite aber nur getilgt werden, wenn das erhoffte Wachstum eintritt. Zweitens: Unternehmen investieren in der Regel nur, wenn sie Zusatzgewinne erhoffen. Auf volkswirtschaftlicher Ebene sind diese Gewinne aber das Gleiche wie Wachstum. Ohne Wachstum keine Gewinne und damit keine Investitionen. Das System kollabiert. Drittens: Nur mit Wachstum kann es Vollbeschäftigung geben. Die Unternehmen investieren permanent in den technischen Fortschritt, was aber bedeutet, dass die gleiche Menge an Waren mit immer weniger Menschen hergestellt werden kann. Arbeitslosigkeit lässt sich nur vermeiden, wenn neue Branchen und neue Stellen entstehen.

Clemens Fuest: In Wirtschaftskrisen kann es dazu kommen, dass vorhandene volkswirtschaftliche Produktionskapazitäten nicht genutzt werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn es hohe Arbeitslosigkeit gibt. Dann ist es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass diese Kapazitäten wieder genutzt werden. Die Marktwirtschaft kommt ohne Wachstum aus, aber wir sind dann eben alle ärmer.

Wachstumskritiker verweisen darauf, dass viele Ressourcen, auf die sich die Wirtschaft stützt, begrenzt sind. Müssen Produktion und Konsum schrumpfen?

Herrmann: Ja. Der Kapitalismus gerät an zwei absolute Grenzen, die bereits deutlich in Sicht sind. Die Rohstoffe werden knapp – und die Umwelt steht kurz vor dem Kollaps. Wir haben ja nicht nur eine bedrohliche Klimakrise. Wir rotten auch viel zu viele Arten aus, zerstören die Süßwasserreserven und die Böden.

Die Publizistin Ulrike Herrmann sieht in der britischen Kriegswirtschaft ab 1939 ein Vorbild, wie „der Kapitalismus geordnet schrumpfen“ könnte. Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen

Fuest: Entscheidend ist, dass für die Nutzung von Ressourcen ein Preis entrichtet wird, der die Knappheit reflektiert. Wenn etwas teuer ist, entstehen Anreize, die Nutzung einzuschränken oder durch Innovationen ganz zu vermeiden. Wenn knappe Ressourcen allerdings keinen Preis haben, weil niemand daran Eigentumsrechte hat – das Abladen von Treibhausgasen in der Atmosphäre ist ein Beispiel –, dann kommt es zu einer Übernutzung der Ressourcen und letztlich zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.

Die Deutschen sind doppelt so reich wie 1978 – und genauso glücklich?

Wird die Jugend noch einen ähnlichen Wohlstand genießen können wie ihre Eltern?

Fuest: Ich vermute, dass der Wohlstand der nächsten Generation höher sein wird als der unserer Generation. Der wichtigste Faktor für die Produktion von Wohlstand, unser Wissen, nimmt ständig zu. Aber wir müssen dieses Wissen intelligent einsetzen.

Für das Wirtschaftswachstum bestehen weiter erhebliche Risiken

Herrmann: Ewiges Wachstum wird nicht möglich sein. Wenn wir die Klimakrise überleben wollen, müssen wir auf Ökoenergie umsteigen. Der Strom aus Windrädern und Solarpaneelen wird aber nicht reichen, um unser gesamtes Wirtschaftssystem zu befeuern. Wir müssen schrumpfen. Trotzdem muss niemand fürchten, in die Steinzeit zurückzukehren. Falls wir auf 50 % unserer heutigen Wirtschaftsleistung verzichten müssten, wären wir immer noch so reich wie 1978. Wer damals dabei war, weiß: Wir waren genauso glücklich wie heute.

Kann sich Deutschland in einer globalisierten Wirtschaft Alleingänge, etwa in Form einer Wachstumsbegrenzung, überhaupt leisten?

Fuest: Wachstum wird nicht von Staaten oder Regierungen beschlossen. Es ist das Ergebnis der Entscheidungen von uns allen, ob wir mehr oder weniger arbeiten, ob wir investieren oder konsumieren und so fort. Regierungen können versuchen, das Wachstum zu beeinflussen. Wenn unsere Regierung gezielt versuchen würde, das Wachstum zu senken, würden wir die Folgen spüren. Die Regierung könnte das Wachstum zum Beispiel senken, wenn sie es verbietet, länger als drei Tage in der Woche zu arbeiten. Das würde das Güter- und Dienstleistungsangebot dramatisch verknappen. Wenn andere Länder das auch tun, wird alles nur noch schlimmer, weil sich dann auch Importe verknappen.

Ifo-Präsident Clemens Fuest plädiert dafür, die Wirtschaft mit geeigneten Anreizsystemen nachhaltiger zu machen statt durch Rationierung. Foto: imago images/Sven Simon

Herrmann: Der Klimaschutz muss global erfolgen, auch weil das CO2-Molekül keine Grenzen kennt und sich weltweit verteilt. Allerdings ist eine globale Zusammenarbeit sehr wahrscheinlich geworden, weil fast alle anderen Länder von der Klimakrise noch viel härter getroffen sein werden als wir hier in Deutschland. Die Gefahr ist nur, dass die Weltgemeinschaft viel zu spät erkennt, dass sie handeln muss.

Der Staat hat in letzter Zeit immer häufiger in den Markt eingegriffen und Nachhaltigkeit verordnet. Beim Lieferkettengesetz etwa, beim Kohleausstieg oder bei der Bepreisung von CO2. Ist das ein Trend, der in der Zukunft noch zunehmen wird?

Fuest: Dieser Trend ist bereits sehr ausgeprägt. Ich denke, in einigen Bereichen werden die Eingriffe restriktiver, etwa beim CO2-Preis. In anderen Bereichen wird man dann zurückrudern, wenn die wirtschaftliche Lage sich verschlechtert und man wieder stärker dazu übergeht, Kosten und Nutzen von Markteingriffen nüchterner abzuwägen.

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