Interview mit Peter Rudolf, Stiftung Wissenschaft & Politik 25. Nov 2022 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 8 Minuten

Putins Drohungen mit Atomwaffen im Ukrainekrieg: So sollte die Nato reagieren

Im Konflikt mit Russland sollte die Nato besonnen bleiben und ihre Abschreckungsstrategie überarbeiten, rät der Politikwissenschaftler Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Als die nukleare Abschreckung noch in den Kinderschuhen steckte: Die USA testen im Mai 1953 eine Kanone mit nuklearem Gefechtskopf. Die militärische und politische Wirkung solcher taktischen Atomwaffen ist seit Langem umstritten. Darauf weist Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik hin.
Foto: Department of Energy. Office of Public Affairs/public domain

VDI nachrichten: In den Medien hieß es in letzter Zeit immer wieder: Seit der Kubakrise waren wir nicht mehr so nahe am Atomkrieg wie jetzt. Halten Sie diese Behauptung für gerechtfertigt?

Peter Rudolf: Damit tue ich mich schon deshalb schwer, weil das Kriterium fehlt, um die Nähe zum Atomkrieg zu messen. Zudem stimmt die These schon deshalb nicht, als wir im Herbst des Jahres 1983 eine kritische Situation hatten, als die sowjetische Führung während der Nato-Übung Able Archer befürchtete, die USA hätten einen Erstschlag im Sinn. Die eigenen Kräfte wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt und Flugzeuge in der DDR bereits für den Einsatz von Atomwaffen vorbereitet. Am Ende schätzte die sowjetische Führung die Situation jedoch richtig ein.

Für wie glaubhaft halten Sie Putins Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen?

Putin hat diese nukleare Drohkulisse aus zwei Gründen aufgebaut. Erstens geht es um die Abschreckung einer wie auch immer gearteten direkten Intervention des Westens im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Zweitens geht es um Nuklearwaffen als militärisches Zwangsmittel. Es wurde spekuliert, Russland könnte eine taktische Nuklearwaffe auf ukrainischem Territorium zünden, wenn seine Armee mit dem Rücken an der Wand stünde. Diese beiden grundsätzlich unterschiedlichen Motive Putins gehen in der öffentlichen Diskussion häufig durcheinander.

Was der Nachfolger des Leopard 2 als Kampfpanzer der Bundeswehr können muss

Wenn wir die politische Ebene betrachten: Wie erfolgreich waren Putins Drohungen?

Jede Krise zwischen nuklear bewaffneten Staaten ist von dieser Bewaffnung überschattet. Da ist Zurückhaltung ein wichtiges Element im gegenseitigen Umgang. Insofern war die Abschreckungswirkung da, eine gewisse Zurückhaltung der USA bei Waffenlieferungen liegt nahe. Von Anfang stellte die US-Regierung klar, es werde keine direkte Intervention geben, keine Lieferung von westlichen Kampfflugzeugen und weitreichenden Raketensystemen. Dann haben die USA langsam Qualität und Ausmaß der Rüstungslieferungen gesteigert, um zu testen, wo Putins rote Linien liegen. Die andere Frage ist, ob eine nukleare Erpressung der Ukraine wirken könnte. Das ist für mich völlig offen.

„Aktuell gibt es Vorschläge für einen neutralen Status einer hochgerüsteten Ukraine. Wie immer diese Regelung am Ende aussehen wird, sie muss die europäische Sicherheitsordnung festigen“, betont der Politikwissenschaftler Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Foto: SWP

Experten weisen darauf hin, dass der Einsatz taktischer Nuklearwaffen schon deshalb militärisch keinen Sinn ergäbe, weil die Ukraine nicht über die Panzermassierungen verfügt, gegen die solche Gefechtsfeldwaffen vorgesehen sind.

Das Szenario im Kalten Krieg sah den Einsatz taktischer Atomwaffen der Nato gegen große gepanzerte Durchbrüche des Warschauer Paktes vor. Aber schon damals ging es dem Westen darum, damit politische Entschlossenheit zu demonstrieren. Um diese Entschlossenheit aktuell zu zeigen, hat Russland andere Möglichkeiten, die es auch nutzt. Dazu zählen Angriffe mit konventionellen Waffen gegen die Infrastruktur und Cyberangriffe. Möglich wäre auch die Zündung einer taktischen Atomwaffe in großer Höhe, um über den elektromagnetischen Impuls die Stromversorgung und Kommunikation der Ukraine mit einem Schlag lahmzulegen.

„Russland als Pariastaat darstellen, der mit dem Einsatz von Atomwaffen das nukleare Tabu gebrochen hat“

Wie sollte die Nato auf einen russischen Atomwaffeneinsatz reagieren?

Die USA haben schon vor Längerem schwerwiegende Konsequenzen angedroht. Was sie über diplomatische Kanäle sonst noch der russischen Seite mitgeteilt haben, weiß niemand. Aber ich kenne keine ernsthafte Diskussion in den USA, dass die US-Regierung Nuklearwaffen einsetzen sollte. Die Rede ist stattdessen von einer Verschärfung der Wirtschaftssanktionen, manchmal auch von militärischen Reaktionen. Ich kann mir ein Szenario vorstellen, das Russland in der Weltöffentlichkeit als Pariastaat darstellt, der mit dem Einsatz von Atomwaffen das nukleare Tabu gebrochen hat.

Angesichts der sogenannten Zeitenwende wird wieder die Bündnisverteidigung der Nato diskutiert. Über die sogenannte nukleare Teilhabe ist die Bundesrepublik in die nukleare Abschreckung eingebunden. Wie wichtig ist diese Teilhabe aktuell noch?

Wir sollten die nukleare Teilhabe nicht überschätzen. Da geht es viel um politische Symbolik. Die Teilhabe bezieht sich auf den Einsatz amerikanischer Atombomben durch die deutsche Luftwaffe. Sie können eingesetzt werden, wenn der US-Präsident dies autorisiert und der Bundeskanzler zustimmt. Diese Regelung war im Kalten Krieg für die Bundesrepublik von großer Bedeutung, weil Deutschland im Falle eines Krieges zwischen Ost und West das Hauptgefechtsfeld und damit potenzieller Einsatzort für Nuklearwaffen gewesen wäre. Die USA haben im Kriegsfall genügend andere Optionen der Eskalation.

Taktische Atomwaffen, deren Einsatz durch Russland im Ukrainekrieg befürchtet wird, wurden für Szenarien im Kalten Krieg entworfen. Sie sollten die Panzermassierungen des Gegners ausschalten. Das Foto zeigt US-Kampfpanzer vom Typ M-60 während des großen Herbstmanövers Reforger im Herbst 1985. Foto: TSGT BOYD BELCHER/public domain

Diese politische Symbolik soll eher in die Nato hineinwirken als nach Russland?

Ja, da geht es der Bundesregierung vermutlich vor allem um Bündnissolidarität und die Beruhigung der europäischen Verbündeten, besonders der baltischen Staaten und Polens an der Nato-Ostflanke. Das Signal lautet: „Wir stehen weiter zur nuklearen Abschreckung.“

„Bei der nuklearen Teilhabe geht es um die symbolische politische Wirkung“

Aber wie glaubwürdig ist diese Abschreckung noch? Diese Atomwaffen sind freifallende Bomben, die mit einem Flugzeug bis ins Ziel gebracht werden müssten.

Wie gesagt, es geht um die symbolische politische Wirkung. Die militärische Zweckmäßigkeit wird seit Jahren diskutiert. Damit sie überhaupt ins Ziel gelangen, müsste erst die Luftverteidigung Russlands ausgeschaltet werden. Zudem ist völkerrechtlich nicht geklärt, ob deutsche Soldaten Atomwaffen einsetzen dürfen. Die sogenannte „Taschenkarte Humanitäres Völkerrecht“ für Bundeswehrsoldaten aus dem Jahr 2008 verbietet ihnen den Einsatz von Atomwaffen. Dass die Widersprüche bis heute nicht geklärt sind, liegt daran, dass Bundesregierungen atomare Waffen stets als politische einstuften. Über den Einsatz hat man nie nachdenken wollen, die Erkenntnisse wären zu schrecklich gewesen. Die Glaubwürdigkeit der Abschreckung wird übrigens seit 70 Jahren diskutiert. Im Kalten Krieg äußerten die Europäer immer wieder Zweifel an der amerikanischen Zusage, im Falle des Falles taktische Atomwaffen einzusetzen. Die Lösung bestand in der Stationierung von US-Streitkräften möglichst nahe an der innerdeutschen Grenze, damit sie frühzeitig in Kampfhandlungen verwickelt werden.

Sie schreiben in Ihrem Buch: „Der Glaube an die nukleare Abschreckung ist ebendies – ein Glaube.“ Wie kommen Sie zu dieser Aussage?

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