Neue Materialien 25. Jun 2021 Von Patrick Schroeder Lesezeit: ca. 3 Minuten

Aus Brauresten wird Plastik

Bei der Entwicklung von umweltfreundlichen Kunststoffalternativen setzt das Start-up Traceless Materials auf natürliche Polymere aus landwirtschaftlichen Abfällen.

Für begrenzt haltbare Lebensmittel ist die Folie ideal. Ihre Materialstärke bestimmt, bis wann sie sich rückstandslos zersetzt hat.
Foto: Traceless Materials

Die Welt versinkt im Plastikmüll. Millionen Tonnen verrotten langsam auf Deponien. Oder landen in den Meeren und werden dort zur Gefahr für die Tierwelt. Es ist Zeit, gegenzusteuern. Deshalb verbietet die EU ab Juli 2021 Einwegkunststoffprodukte – etwa Trinkhalme, Luftballonstäbe und Einweggeschirr. Diese Artikel dürfen auch nicht aus Bioplastik bestehen. Warum? Weil das Material oft Probleme bereitet. „Biokunststoffe benötigen meist schädliche Zusatzstoffe, Lösungsmittel und Chemikalien. Landen Folien oder Trinkbecher in der Natur, zersetzt sich das Material nur sehr langsam, sodass es für Tiere zur Gefahr werden kann“, erklärt Johanna Baare, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Anne Lamp das Hamburger Start-up Traceless Materials gegründet hat. „Wir haben deswegen ein neuartiges Material entwickelt – eine Alternative zu Plastik, die ohne Zusatzstoffe auskommt und sich in kurzer Zeit ohne gefährliche Rückstände zersetzt.“

Reststoffe aus der Landwirtschaft

Das Material aus Hamburg besteht aus Reststoffen aus der Landwirtschaft. Etwa aus Stärkeresten oder Brautreber, den Rückständen des Braumalzes in der Bierherstellung. „Aus diesen Stoffen extrahieren wir natürliche Polymere“, sagt Baare. „Im nächsten Schritt stellen wir aus den Polymeren unseren Kunststoffersatz her, der vollkommen frei ist von gefährlichen Zusatzstoffen oder Lösungsmitteln.“

Die Gründerinnen von Traceless Materials, Johanna Baare (li.) und Anne Lamp, konnten sich gerade eine einstellige Millionensumme von drei Investoren sichern. Foto: Traceless Materials

Wie die Technik genau funktioniert, verrät die Start-up-Gründerin nicht. Gerade läuft die Patentierung. Doch die Vorteile liegen auf der Hand: die Herstellung verursacht laut Baare im Vergleich zu klassischen Kunststoffen bis zu 87 % weniger CO2-Emissionen. Da die Polymere einen natürlichen Ursprung haben und ohne chemische Modifikation auskommen, können Mikroorganismen sie zudem schnell zersetzen – je nach Materialdicke in zwei bis neun Wochen. Im Vergleich zu Biokunststoffen, die oft ein Vielfaches dieser Zeit benötigen, sind dafür keine industriellen Kompostieranlagen notwendig, die den Zersetzungsprozess mit Wärme unterstützen müssen. Und anders als bei vielen Bioplastikprodukten bleiben bei der Kompostierung keinerlei Rückstände zurück. Findet sich dennoch ein Rest in der Natur, stellt das kein Problem dar. „Das Material ist essbar und gesundheitlich vollkommen unbedenklich.“

Die Urform des Materials ist ein Granulat. Verschiedene Produkte sollen sich damit zukünftig herstellen lassen. Zum einen eine Folie, die sich laut Start-up ähnlich verhält wie klassisches Polyactid (PLA). Das kompostierbare Material hat eine vergleichbar hohe Zugfestigkeit, ist auch ohne Weichmacher elastisch und lässt sich auf Wunsch färben, bedrucken und heißsiegeln. Somit scheint die Ökofolie ideal geeignet für den Einsatz in der Lebensmittelindustrie, etwa als Aufschnittverpackung.

Zum anderen möchte das Start-up in Zukunft eine Hartplastikalternative anbieten. Das Material, kompatibel mit gewöhnlichen Extrusions- und Spritzgussmaschinen, hätte in dieser Form vergleichbare Eigenschaften wie Low-Density-Polyethylen (LDPE). Daraus herstellen ließen sich beispielsweise To-go-Kaffeebecher, die sich im Straßengraben innerhalb weniger Wochen auflösen.

„Qualitativ sind die Materialien bereits heute wettbewerbsfähig zu Kunst- und Biokunststoffen“, ist Baare überzeugt. „Im industriellen Maßstab hergestellt, werden sie auch preislich mit konventionellen Kunststoffen konkurrieren können.“

Für die Idee zu begeistern seien auch Getreideverarbeiter, die seit Jahren Reststoffe als günstiges Tierfutter verkaufen, insgeheim aber von einer lukrativeren Weiterverarbeitungsmöglichkeit träumen.

Traceless Materials GmbH

Doch am Markt ist Traceless Materials noch nicht. Derzeit forscht das Team im Labor. Und kümmert sich um die Finanzierung. Mit Erfolg. In der ersten Finanzierungsrunde haben die Gründer eine einstellige Millionensumme von drei Investoren erhalten: vom High-Tech-Gründerfonds (HTGF) aus Bonn, der b.value AG aus Dortmund und Planet A aus Hamburg.

Traceless Materials gewinnt Gründerpreis 2022

„Wir sind zuversichtlich, dass die Innovation von Traceless das Potenzial hat, einen signifikanten Beitrag zur Lösung der globalen Plastikverschmutzung zu leisten und den Plastikmarkt nachhaltig zu verändern“, sagt Tobias Seikel, Mitgründer und Partner bei Planet A. Das Investment wollen die Gründer verwenden, um den Bau einer Pilotanlage voranzutreiben. Sie soll die Produktion vom Labormaßstab hochskalieren, um ausreichend Material für erste Marktpiloten herzustellen. Anfang 2022 könnten dann erste Produkte auf den Markt kommen.

„Im Bereich der nachhaltigen Kunststoffalternativen sehen wir großes Interesse von der kunststoffverarbeitenden Industrie sowie von Unternehmen aus dem Konsumgüterbereich“, sagt Johannes Weber, Investmentmanager beim HTGF. „Aus unserer Sicht hat Traceless das Potenzial, Technologie- und Marktführer bei neuen Materialien zu werden.“

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