Startegie 08. Jul 2019 Chris Löwer Lesezeit: ca. 4 Minuten

Wenn vermeintliche Schwächen zu wichtigen Stärken werden

Auch Introvertierte können (und müssen) netzwerken. Ingenieure haben oft etwas anderes zu tun, als Kontakte aufzubauen und zu pflegen, zumal sie nicht sonderlich gern auf andere zugehen. Doch das ist ein Fehler, der die Karriere bremst. Aber: Ihnen kann geholfen werden

Eigentlich bin ich gar nicht da.“ Das ist der falsche Weg. Auch Zurückhaltende sind Leistungsträger und sollten das deutlich machen.
Foto: F1online

Der Messeauftritt, das Meeting, das Geschäftsessen – vielen ist das ein Graus. Kontakten, netzwerken, präsent sein ist nicht jedermanns Sache. Gerade Ingenieure können gern darauf verzichten. Sie zählen zu der Gruppe eher introvertierter Mitarbeiter, die lieber konzentriert ihrer Arbeit nachgehen, gute Ergebnisse liefern – ohne sich dafür auch nur ansatzweise in Szene zu setzen. Zum Dank werden sie gern als Eigenbrötler abgetan. Ein Etikett, das der Karriere nicht gerade dienlich ist.

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Autorin und Karriereberaterin Sylvia Löhken über die Vorteile von Introvertierten:

– Introvertierte gehen behutsam vor, beobachten aufmerksam und denken vor dem Reden, vermitteln Inhalte mit Tiefe.

– Sie bleiben intensiv und stetig bei der Sache.

– Sie filtern aus den Äußerungen des Gegenübers Informationen und Bedürfnisse.

– Sie sorgen für innere Ruhe als Basis für Konzentration.

– Sie planen und strukturieren, sehen in komplexen Zusammenhängen die einzelnen Elemente und leiten daraus systematisch Informationen ab.

– Sie können allein sein, leben innerlich losgelöst von der Meinung anderer.

– Sie können sich in die Lage des Gegenübers versetzen, sind kompromissbereit.  C.L.

Chefs bekommen oft nicht mit, welch hervorragende Leistungen Ingenieure erbringen“, sagt die Münchner Beraterin Anne Schüller. Sie hätten kaum Chancen zu erfahren, was in ihren Mitarbeitern steckt, womit nicht unbedingt die Besten befördert werden. Introvertierten mangelt es allein schon in der Firma an einem Netzwerk, das weiterbringt und sie mit wertvollen Informationen versorgt.

Einen Grund dafür benennt Sylvia Löhken, eine Expertin für „leise Menschen“: „Introvertiert bedeutet wörtlich ‚nach innen gewandt‘. Und tatsächlich spielt sich in Intro-Gehirnen mehr ab als in Extro-Gehirnen.“ Dies führe dazu, dass Introvertierte von zu vielen äußeren Eindrücken leichter überstimuliert seien. Folge: „Im Berufsalltag werden Intros leicht unterschätzt, weil die hohe Innenaktivität ja nicht unmittelbar sichtbar ist“, weiß Löhken.

Und genau dagegen müssen Stille etwas tun, um nicht unterzugehen. Auch, wenn es Überwindung kostet. „Verbiegen müssen sie sich dabei nicht“, beruhigt die Karriereberaterin. Wenn sie einige einfache Regeln beherzigen: Introvertierte Ingenieure sollten sich zunächst über ihre Bedürfnisse und Stärken klar werden. Beim Netzwerken oder einem Messeauftritt sollten sie sich auf wenige Menschen konzentrieren und sich durchaus Ruhepausen gönnen. „Es ist völlig in Ordnung, sich bei einer Fachmesse im hinteren Teil des Standes aufzuhalten und das Feld vorne den Extrovertierten zu überlassen“, sagt Schüller.

Schaden könne auch nicht, sich vorher mit ähnlichen wie den als unangenehm empfundenen Situationen zu konfrontieren und den „Körper zu konditionieren“, etwa indem größere Gesten und ein offenes Lächeln geübt werden. Außerdem lässt sich öffentliches Sprechen trainieren, verweist Löhken auf Barack Obama, der als introvertiert gilt, es aber inzwischen versteht mitreißende Reden zu halten.

Für introvertierte Ingenieure dürfte überraschend sein, dass beim Kontakten eigene verkannte Stärken zutage treten: „Viele Intros können ausgezeichnet zuhören, sich in Kunden einfühlen, Vertrauenswürdigkeit vermitteln, Gespräche auch jenseits des seichten Smalltalks führen und Beziehungen bewusst pflegen“, sagt Löhken. „Dies führt oft zu Beziehungen, die in Tiefe, Dauer, Qualität und Tragfähigkeit wertvoller sind als viele eingesammelte Visitenkarten.“ Das kann Kommunikationstrainerin Annette Kessler nur bestätigen: „Oft sind sich Ingenieure ihrer Stärken nicht bewusst. Im Gegensatz zu Extrovertierten punkten Introvertierte mit analytischem Denken, innerer Ruhe, die souverän wirkt, und substanziellen Äußerungen.“

Letztere dürfen freilich nicht dazu führen, das Gegenüber mit Detailverliebtheit zu langweilen, wo beim Netzwerken doch erst mal Beziehungsarbeit angesagt wäre, oder, wie Kessler das nennt „soziales Lausen“. Kessler: „Als Netzwerker muss man Menschen als Mensch begegnen.“ Für Ingenieure bedeutet dies oft, eine gewisse Kontaktscheu und die Angst vorm vermeintlich seichten Smalltalk zu überwinden. Auf den kann man sich mit ein paar Fragen vorbereiten: Was will ich erreichen? Mit wem muss ich sprechen? Welche Themen sind wichtig? „Derart strukturiert vorzugehen, nimmt dem Smalltalk seinen Schrecken und kommt Ingenieuren entgegen“, betont Kessler.

Aber auch innerhalb der eigenen Abteilung sichtbar zu werden, ist für viele keine leichte Übung. Und auch hier behindert grundsätzlich eine falsche Selbsteinschätzung: „Introvertierte unterschätzen notorisch den Erfolg ihres leisen Wirkens. Im Zweifel hilft es, für sich selbst ein Erfolgstagebuch zu führen“, rät Löhken. Außerdem sollten Ingenieure aktives Interesse an interessanten Projekten zeigen und Verantwortungsbereitschaft signalisieren. „Das muss nicht im Plenum sein, sondern lässt sich auch im Dialog vermitteln“, sagt die Expertin. In Meetings sollten zurückhaltende Naturen darauf achten, sich bei wichtigen Punkten aktiv zu beteiligen. Zum zielführenden Netzwerken gehöre auch, bei wichtigen anstehenden Entscheidungen vorab in Einzelgesprächen Verbündete zu suchen. Grundsätzlich gelte: „Bewusst Beziehungen aufbauen und pflegen.“

Auf der anderen Seite zeichnen sich fähige Führungskräfte dadurch aus, leise Leister als solche zu erkennen und zu fördern. „Chefs sind aber meist extrovertiert und gehen zu sehr von sich aus“, klagt Schüller. Um das schlummernde Potenzial zu heben, sollten sie daher auf Introvertierte zugehen, nach deren Leistungen fragen, wie der Stand eines Projektes ist, loben, damit die Leisen aus „ihrem Schneckenhaus“ herauskommen.

Wenn der Chef das nicht möchte oder kann, sollten in sich Gekehrte selbst in die Offensive gehen, um ihre Karriere anzuschieben: „Nicht jeder Vorgesetzte sieht bei leisen Leistern aufmerksam hin: Sie fallen ja wenig auf. Also gilt es, aktiv dafür zu sorgen, dass die richtigen Personen von den eigenen Leistungen erfahren“, sagt Löhken.

In die Offensive gehen müsse der Introvertierte spätestens dann, wenn er bei Konflikten stets den Kürzeren zieht: „Wer hier systematisch trainiert, mit Meinungsverschiedenheiten, Angriffen und Grenzüberschreitungen souverän umzugehen, hat es auf Dauer einfacher als jemand, auf dem alle ungeahndet herumtrampeln dürfen“, sagt Löhken.

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