KARRIERE 09. Jul 2019 Chris Löwer Lesezeit: ca. 3 Minuten

Aufstieg, nein danke!

Ingenieure im besten Alter verweigern sich immer öfter dem Aufstieg in Top-Positionen. Sie hadern mit den Rahmenbedingungen, die in den Führungsetagen auf sie warten. Der Wille zur Macht scheint nicht nur in der Generation Y nachzulassen.

„Ingenieure schauen heute genauer hin, was die vermeintliche Karriere-Option tatsächlich bedeutet.“ Gudrun Happich, Coach beim Galileo Institut, Köln.
Foto: Galileo Institut

Die Karriereaussichten des 45-jährigen Ingenieurs waren blendend: Der Produktionsleiter bei einem mittelständischen Maschinenbauer hatte sich hochgearbeitet, war allseits geschätzt und auf direktem Weg in den Führungszirkel. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann er gefragt werden würde, in den Vorstand aufzurücken. Allerdings: Je öfter er an Meetings der Unternehmenslenker teilnahm, desto größer die Ernüchterung: Von der allseits gepredigten Transparenz und Fairness keine Spur. Stattdessen: Hahnenkämpfe, hinterhältiges Taktieren und übermäßige Quartalszahlenfixiertheit. Der Reiz des ursprünglichen Ziels hatte komplett seine Kraft verloren. Der Mann verabschiedete sich aus voller innerer Überzeugung von seinen Ambitionen und empfand das mögliche Gehaltsplus nur noch als Schmerzensgeld.

Solche Fälle begegnen Führungskräfte-Coach Gudrun Happich vom Kölner Galileo Institut inzwischen häufiger. Ingenieure scheinen dabei die Speerspitze eines mentalen Wandels zu sein: „Vor allem Leute, die inhaltlich etwas bewegen wollen, wie das bei Ingenieuren der Fall ist, verweigern sich zunehmend dem klassischen Karrieremodell“, beobachtet Happich. Die Lust, in der Hierarchie nach oben zu klettern, Druck auszuhalten, jahrelang zu buckeln, um dann irgendwann führen zu können und an der Spitze zu landen, nimmt ab. Gerade Mitarbeiter ab 40 seien sehr viel reflektierter und bestimmter in dem, was sie wollen und was nicht, sagt Happich: „Es wird genauer hingeschaut, was die vermeintliche Super-Karriere-Option tatsächlich bedeutet.“

So kommt es, dass potenzielle Führungskräfte im besten Alter immer öfter sagen: Aufstieg, nein danke! Das legt auch eine Umfrage des Deutschen Führungskräfteverbands nahe, nach der 59 % der berufserfahrenen Befragten einräumten, dass in den letzten fünf Jahren ihr Wunsch nach einem Aufstieg in der Hierarchie abgenommen habe. Stattdessen lautet das angestrebte Ideal: „Mehr Zeit für Familie und Privatleben.“

Auch Konstantin Korotov, Hochschullehrer an der Berliner European School of Management and Technology (ESMT), trifft in seinem Job vermehrt auf potenzielle Führungskräfte, die eigentlich gar nicht nach oben möchten. Also begann er, das Phänomen zu untersuchen und befragte 900 Teilnehmer aus ESMT-Weiterbildungsprogrammen, die allesamt das Zeug haben, die Karriereleiter flott zu erklimmen. Doch offenbar sind die Sorge um das persönliche Wohlbefinden, die Angst vor dem Verlust von Freunden oder gar der Familie, der Druck großer Verantwortung und die Abscheu vor Machtspielen keine allzu verlockende Perspektive, wie die Umfrage ergab. „Den nächsten Karriereschritt zu gehen, bedeutet, etwas Bekanntes, auf das man stolz ist, zugunsten von etwas Unbekanntem aufgeben zu müssen, was vielen zunehmend unattraktiv erscheint“, erklärt Korotov. Das ist keine Frage des Alters. „Und die meisten Vorbilder aus Führungsetagen erwecken nicht gerade den Eindruck, als könnten sie erfolgreiche Arbeit mit anderen wichtigen Dingen abseits des Berufs, wie Familie, Sport und Hobbys vereinen.“ Das schreckt generationenübergreifend ab.

Hinzu kommt, dass heute in Familien meist beide Eheleute arbeiten. „Der monetäre Druck hat abgenommen und die Vielfalt an Karriereentwürfen zugenommen“, notiert Claas Triebel, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Angewandtes Management in Erding. „Es gibt nicht mehr nur den einen Weg, der glücklich macht.“

Die heute über Vierzigjährigen gehören der sogenannten „Generation Golf“ an, die als konsumfreudig gilt – Haus, Auto, Fernreisen, teure Hobbys. All das zählt. Nur: „Wenn diese Generation einen gewissen Wohlstandssockel erreicht hat, genügt es einigen einfach. Sie wollen dann kürzer treten. In der Generation Y hingegen ist vielen materielles Streben per se fremd“, hat Triebel beobachtet. Sofern verwundert es ihn nicht, dass nun auch die Generation 40+ im Job Verzicht übt, um besser zu leben – auch wenn Triebel darin noch nicht die breite Masse ausgemacht hat.

„Den nächsten Schritt nicht zu tun, wird nicht als Karriereknick empfunden – solange man weiterhin inhaltlich gut arbeiten kann“, sagt Happich. Positionen im Projektmanagement und Fachkarrieren gewinnen daher an Bedeutung. Unternehmen sollten auf diesen Trend reagieren, indem sie nicht nur flexible Arbeitszeitmodelle, sondern auch flexible Karrierepfade anbieten, bei denen etwa eine Fach- und Führungslaufbahn verbunden werden, schlägt Triebel vor: „Ingenieure sollten sich nicht durch eine Führungsposition von ihrem Fach verabschieden müssen und umgekehrt.“

Außerdem müssten sie in beruflichen Weiterentwicklungsfragen intensiver beraten und betreut werden. Übliche Potenzialbeurteilungen oder gar interne Assessments meint Triebel nicht damit, die sind im Zweifel eher kontraproduktiv. „Ingenieure wissen, was sie können und was nicht. Was sie brauchen, ist jemand, der ihnen aufzeigt, wo für sie die Möglichkeiten im Unternehmen schlummern.“

Auch Korotov sagt, dass Ingenieuren niemand sagen muss, was sie draufhaben, dafür haben sie in ihre Ausbildung und ihr berufliches Fortkommen auf fachlicher Ebene schon genug investiert. „Dabei stand die Entwicklung von Führungskompetenzen und Businesswissen nicht gerade im Fokus, was hinderlich für den nächsten Schritt ist.“ Zumal das von Ingenieuren so wertgeschätzte Fachliche in einer Führungsposition droht, verschütt zu gehen.

Korotov und seine Kollegen von der ESMT haben herausgefunden, was für höhere Aufgaben motiviert: Die Lust am Führen wächst mit den Aufgaben. „Je eher jemand damit Erfahrungen sammelt, desto besser. Daher ist es wichtig, Ingenieure früh mit Führungsaufgaben zu betrauen“, sagt der Fachmann. Und: Es muss eine Notausstiegsoption geben. Wer nach einer Beförderung merkt, nicht zur Führungskraft geboren zu sein, der muss wieder in einen Engineering-Job zurückkehren können, ohne sein Gesicht zu verlieren.

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