SPORT 18. Dez 2015 Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 3 Minuten

Der lange Weg zum Körperkult

Vor 60 Jahren eröffnete das erste deutsche Fitnessstudio. Dass die Wuchterbuden von einst heute mehr Mitglieder als der DFB haben, ist vor allem dem technischen Fortschritt bei den Trainingsgeräten zu verdanken.

Schöner schwitzen: Während Arnold Schwarzenegger noch mit Hanteln und Seilzügen seine Muskeln modellieren musste.... Foot: Getty Images/George Long

„Beruf: Masseur. Vertrieb von Sportgeräten, ab 1. 1. 1956“, schreibt der Beamte auf die Meldekarte des Unternehmensgründers Harry Gelbfarb. Diese Aktennotiz aus Schweinfurt ist nichts weniger als der amtliche Nachweis für das Gründungsdatum des ersten Bodybuilding-Studios in Deutschland – und damit des Vorfahren aller heutigen Fitnessstudios.

Mit einfachen Mitteln stellte Gelbfarb, der in New York und Kalifornien das Bodybuilding für sich entdeckt hatte, die Ausstattung für sein Studio her: Die Trainingsbänke und -geräte bastelte Gelbfarb aus alten Wasserleitungsrohren. Bei den Hanteln halfen ihm seine Mitglieder, die meisten von ihnen angehende Schlosser und Werkzeugmacher aus der Kugellagerindustrie: Der eine „organisierte“ die Schrauben zum Fixieren der Gewichte in seinem Betrieb, der andere ließ die Hantelscheiben aus Abfallmaterial schleifen. Hinter einem Vorhang zogen sich die Schüler um, eine Dusche gab es nicht. Unter ähnlich primitiven Bedingungen gründeten Bodybuilding-Pioniere in den folgenden Jahren Studios in Stuttgart, Berlin und München. Zum Ende der 50er-Jahre zählte eine Fachzeitschrift nur ein halbes Dutzend solcher Einrichtungen in Deutschland.

So blieb das Krafttraining in Studios einer kleinen Minderheit vorbehalten, bis Anfang der 70er-Jahre dem Tüftler Arthur Jones in Florida eine bahnbrechende Erfindung gelang: Mit der Nautilus genannten Trainingsmaschine zog erstmals Ingenieurwissen in die Bodybuilding-Szene ein. „Arthur Jones hat nicht einfach Geräte zusammengebaut, sondern mehrere Ingenieure beschäftigt, die aufwendig zeichneten und rechneten, bevor die erste Maschine in Serie ging“, betont Jürgen Gießing, Sportwissenschaftler an der Universität Koblenz-Landau. Als wesentlichen Vorteil des Maschinengebrauchs gegenüber dem freien Training mit Gewichten nennt Gießing: „Die Maschinen sind so eingestellt, dass man nichts falsch machen kann.“ Das gilt nicht nur für Ungeübte, die sich durch eine falsche Bewegung einen Muskel zerren können. Da für die optimale Trainingswirkung der Muskel bis zur völligen Ermüdung trainiert werden muss, riskieren auch erfahrene Athleten, sich bei einer Ausweichbewegung zu verletzen. In Trainingsmaschinen wird die Übungsposition in Abhängigkeit vom Körperbau durch verstellbare Polster und Sitze so fixiert, dass keine Ausweichbewegungen möglich sind.

Zudem erlaubten die Nautilus-Maschinen erstmals das Absolvieren des vollständigen Bewegungsradius bei kontinuierlicher Belastung der Muskulatur. Ermöglicht wird der gleichmäßige Widerstand durch muschelförmige Exzenterscheiben. Ihr Radius ist an dem Punkt der Bewegung am größten, wo die stärkste Muskelkraft wirkt, und dort am kleinsten, wo der Sportler die geringste Kraft ausüben kann. Der Vorteil dieser Technik wird im Vergleich zur Langhantel deutlich: Zum einen blockieren Körperteile wie Brust oder Kopf die Armbewegung. Zum anderen sorgt die Schwerkraft für unterschiedliche Belastung bei der Ausführung: Der Widerstand ist bei waagrecht gehaltenen Unterarmen am höchsten, bei bis zum Becken ausgestreckten am geringsten.

Doch nicht nur bessere Maschinen, vor allem ein verändertes gesellschaftliches Klima verhalf den Fitnessstudios in den 70er-Jahren zum Durchbruch. „Mit der Fitnesswelle, in der auch Sportarten wie Windsurfing oder Rollerblading aufkamen, trieben die Menschen zum ersten Mal Sport, um ihrem Körper etwas Gutes zu tun“, sagt Jürgen Gießing. „Es gab zwar Tausende Sportvereine, aber in ihnen wurde nur Wettkampfsport betrieben.“ Und auch Arnold Schwarzenegger erhob den Körperkult zum alltagskulturellen Mainstream, in dem er im Winter in der Badehose über den Münchner Stachus stolzierte, im Whitney Museum of American Art in New York vor Kunstkritikern posierte und dem Kinopublikum mit breitem Grinsen versicherte: „Gewichte stemmen ist besser als Sex!“

Von diesem Boom wollte auch der Schweizer Werner Kieser profitieren, der in Zürich ein Studio betrieb und Anfang der 80er-Jahre die europäischen Vertriebsrechte für die Nautilus-Maschinen erwarb. „Ich kam genau zum falschen Zeitpunkt“, erinnert sich der Unternehmer, der die Kette „Kiesertraining“ mit aktuell 116 Studios in Deutschland betreibt. Infolge des sogenannten Stahlkriegs zwischen der EWG und den USA wurden auf die Nautilus-Geräte hohe Strafzölle erhoben. Aber auch die einheimischen Sportgerätehersteller machten Kieser das Geschäft mit Klagen gegen seine Importprodukte schwer. „Ich verlor Zeit, und die Mitbewerber konnten kopieren“, fasst Kieser das Ergebnis lapidar zusammen. Die technischen Grundlagen der Trainingsmaschinen hatten sich damit aber durchgesetzt.

Heute trainieren laut der Unternehmensberatung Deloitte in Deutschland mehr als 9 Mio. Menschen in einem der rund 8000 Fitnessstudios – das sind 2 Mio. mehr, als der Deutsche Fußballbund (DFB) Mitglieder hat. Mit Sauna, Solarien und Saftbars machen viele Betreiber Angebote, die eher der Wellness als der Fitness ihrer Kunden dienen. Die scheinen die Liebe zum Eisen wiederzuentdecken: Der Discounter McFit eröffnet unter der Tochtermarke High5 eine Reihe neuer Studios, in denen die Kunden sich weniger in Hightechgeräte zwängen als vielmehr an Hanteln, Sandsäcken und Klimmzugstangen abarbeiten. Anders als damals bei Harry Gelbfarb gibt es aber Duschen. PETER STEINMÜLLER

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