Antriebstechnik 19. Sep 2024 Von Peter Weißenberg Lesezeit: ca. 4 Minuten

Radnabenmotor-Start-up Deep Drive erhält weitere Millionen von BMW und Continental

Nach einem Jahrhundert im Dornröschenschlaf steht eine ursprüngliche Antriebstechnik für Elektroautos vor ihrem Comeback: der Radnabenmotor. Er bietet dank neuer technischer Entwicklungen eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten für Kleinwagen, sportliche Autos und Nutzfahrzeuge. Denn Ingenieure haben ihm viele bauartbedingte Nachteile ausgetrieben.

Ein elektrischer Radnabenmotor spart im Vergleich zu herkömmlichen E-Antrieben Platz – und die Bremse ist gleich integriert.
Foto: Continental AG

Das Münchner Start-up Deep Drive arbeitet an einer Weiterentwicklung des Radnabenmotors. Zu den Investoren in die Technik gehören BMW und Continental. Tests u. a. mit einem BMW-Prototypen waren offenbar so überzeugend, dass die beiden Konzerne in einer Finanzierungsrunde nun 30 Mio. € nachgeschossen haben.

Das Geld soll zur Erweiterung der Produktionslinien verwendet werden, um die Herstellung der Antriebe zu industrialisieren. Deep Drive spricht davon, dass bereits acht der zehn größten Automobilhersteller mit dem Start-up an verschiedenen Entwicklungsprojekten arbeiten. Die Produktion des neuen Antriebsstrangs sei deutlich kostengünstiger als die von vergleichbaren Systemen, verbrauche weniger Materialien wie Eisen oder Magnetmaterial und benötige weniger Seltene Erden.

Gegenüber Automobilwoche versprach Deep Drive eine Systemkostenersparnis von mehr als 1000 € im Vergleich zu einem konventionellen Elektromotor. Bei einer Großserienfertigung könnten Kostenersparnisse entsprechend im Milliardenbereich liegen. Das bedeute eine Halbierung der Preisdifferenz zwischen Fahrzeugen mit Verbrennern und Elektroautos. VDI nachrichten berichtete bereits am 28. 8. 2024 ausführlich:

Die Geschichte des Radnabenmotors

Ferdinand Porsche ist überzeugt: Die Zukunft des Autos gehört dem Radnabenmotor – und einen solchen elektrischen Antrieb in der Felge hat sich der geniale Erfinder schon 1896 patentieren lassen. Drei Jahre später stellt Porsche sogar das erste Fahrzeug mit diesem Antrieb auf die Straße. Mit zweimal 1,8 kW erreicht das Fahrzeug der „Wiener k.u.k. Hofwagenfabrik Ludwig Lohner & Co.“ zackige 37 km/h Spitzengeschwindigkeit.

Lohner ist vom E-Auto überzeugt. Denn „die Luft werde sonst von in großer Anzahl auftretenden Benzinmotoren erbarmungslos verdorben“. 50 km Reichweite und mehrere Tage Ladezeit allerdings lassen seinen Chefkonstrukteur Porsche recht bald auf den Verbrenner umschwenken. Der Rest ist Geschichte.

Das Comeback des Radnabenmotors

Aber genau diese Geschichte macht rund 130 Jahre später eine 180°-Wende – und der Radnabenmotor hat gute Aussichten auf ein Comeback. Deutsche Ingenieure stehen dabei an der Spitze der Bewegung. Das grundlegende Problem Porsches mit dem Elektroantrieb ist ja bekanntlich gelöst: Reichweiten von mehr als 700 km und Voll-Ladezeiten von weniger als einer halben Stunde sind längst Realität. Allerdings genauso wie der Elektromotor, der mitten auf einer oder zwei Achsen sitzt.

Ein Radnabenmotor ist minimal kleiner als die Autofelge. Foto: Continental AG

Beinahe alle Hersteller setzen auf diese Position des Antriebs. Denn Elektromotoren, die einfach auf dem variabel verfügbaren Raum über der Achse montiert sind, sind in der Regel günstiger in der Herstellung. Die Technologie ist zudem inzwischen ausgereifter und die Produktion kann in größeren Stückzahlen erfolgen, was zu weiteren Kosteneinsparungen führt. Und Achsenmotoren haben zwar prinzipiell einen geringeren Wirkungsgrad als solche in den Radnaben; dafür sind sie in der Lage, höhere Drehzahlen zu erreichen, wie etwa Professor Martin Doppelbauer vom Karlsruher Institut für Technologie betont. Denn bei der Nabenposition sei die Drehzahl des Motors durch die Radgeschwindigkeit begrenzt. Das führt zu höheren Verlusten, wenn versucht wird, das Drehmoment zu steigern. Dazu benötigt es zudem dickere Kabel und teurere Materialien.

Radnabenmotor mit zwei Rotoren

Doch diese Nachteile des Radnabenmotors sind Alexander Rosen und sein Team inzwischen schon beeindruckend zu Leibe gerückt. Der Ingenieur und Entwickler bei Deep Drive in München hat den Antrieb entscheidend weiterentwickelt. Bei seinem Doppelrotor-Motor kombiniert er den klassischen Innenläufer mit einem Außenläufer. Beim ersten ist außen der Stator und im Inneren dreht sich ein Rotor. Beim Außenläufer ist es genau umgekehrt. In seinem Motor arbeiten also zwei Rotoren, einer außen und einer innen. Eine unabhängige Studie des Fachmannes Shafigh Nategh von der Polytechnischen Universität Turin bescheinigt dem Konzept derzeit die Führung unter vier verschiedenen Elektroantrieben bei Preis-Leistungs-Verhältnis und der Nachhaltigkeit.

Mit dem Partner BMW testet das Start-up bereits diese Antriebe in Prototypen der „Neuen Klasse“ künftiger Elektroautos. Rosen verspricht dabei sowohl gesteigerte Drehmoment- und Leistungsdichte im Vergleich zu Achs-Elektromotoren als auch 20 % mehr Reichweite bei gleich großer Batterie. Deep Drives Motoren seien überdies leichter, sparsamer beim Einsatz Seltener Erden und kompakter verbaubar. Denn sie können völlig ohne Getriebe in der Radnabe eingesetzt werden. Durch den direkten Antrieb der Räder ohne Zwischengetriebe oder Differenzialgetriebe werden mechanische Verluste reduziert, was zum höheren Wirkungsgrad führt.

Radnabenmotoren sparen Platz

Der sogenannte RM 1500 Motor liefert bis zu 1500 Nm Drehmoment und eine Spitzenleistung von 150 kW. Das sind Werte, die für viele Anwendungen gerade im Volumensegment ausreichend sind. Und hier ist ja eine platzsparende Verwendung der Antriebseinheit besonders wichtig, weil sich so etwa der Raum über den Achsen für die Variabilität des Innenraums noch besser nutzen lässt. Gerade bei Klein- und Kompaktfahrzeugen, wo die Elektromobilität noch nicht so recht Fuß fassen will, ringen die Hersteller ja um jeden Zentimeter Bauraum.

Volkswagen etwa verkleinert deshalb derzeit seinen Antrieb MEB zu einem auf der Achse befestigten MEB-Eco – auch andere Hersteller versuchen sich in ähnlichem Downsizing. Deep Drive will das Problem mit dem Radnabenmotor angehen – und ist auch sicher, einen der Hauptnachteile seiner Technologie im Griff zu haben: die ungefederten Massen. Denn selbst der mit bis zu 200 kW stärkste Motor der Münchner wiegt nur 35 kg. Beim Einsatz von vier Radnabenmotoren können die Kunden sogar die Bremsen an der Hinterachse sehr kleinhalten oder sogar weglassen. Die Bremsaufgaben übernehmen dann die Motoren in der Front und eine verstärkte Rekuperation.

Radnabenmotor mit integrierter Trommelbremse

Der variable Einsatz der Motoren macht die Radnabentechnik interessant für verschiedene Anwendungen: Mit zwei Motoren an der Hinterachse lassen sich die meisten kompakteren Fahrzeuge adäquat fortbewegen. Continental entwickelt zusammen mit Deep Drive zudem einen Radnabenmotor mit integrierter Trommelbremse, der die Effizienz und Reichweite noch einmal signifikant erhöhen soll. Der superkompakte Antrieb könnte die Reichweite von Elektroautos um bis zu 200 km steigern. Und nicht ganz nebenbei lassen sich trotz des Motors dahinter auch die Felgen der Fahrzeuge wie gewohnt wechseln.

Der niederländische Konkurrent E-Traction und Ziehl-Abegg aus Künzelsau entwickeln ihre Radnabenmotoren vor allem für Nutzfahrzeuge. Dabei spielen die größere Wendigkeit – bis zum Drehen auf der Stelle – und das Ermöglichen noch flacheren Verbaus der Bodengruppe etwa für Niederflurfahrzeuge eine wichtige Rolle. Auch der hohe Wirkungsgrad bietet bei der Berechnung von Laufzeitkosten einen Vorteil.

Radnabenmotor auch für sportliche Autos geeignet

Und die Torque-Vectoring-Stärke des Radnabenmotors (aktive Antriebsmomentverteilung auf die einzelnen Hinterräder) bringt schließlich ein entscheidendes Dynamikplus, das die Hersteller sportlicher Autos hellhörig macht. Dann könnte auch eine integrierte Scheibenbremse bereits serienreif sein, die in die Vordermotoren verbaut wird, so Rosen. Die weitere Verkleinerung und Integration anderer Komponenten sei schon fest eingeplant. Wohl auch deswegen arbeitet Deep Drive bereits mit acht der zehn größten Automobilhersteller an ersten Serienanwendungen für seine Radnabenmotoren.

Wenn das Ferdinand Porsche noch erleben dürfte …

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