Feralpi feiert sein neues Walzwerk – in Deutschland
Der italienische Familienkonzern Feralpi Group hat an seinem Standort Riesa ein neues Walzwerk für Baustahl in Betrieb genommen und mehr als 220 Mio. € investiert. „Wir haben viel unternehmerischen Mut aufgebracht und auf Nachhaltigkeit gesetzt, nun muss aber auch die Politik umgehend die nötigen Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Erfolg schaffen“, so Guiseppe Pasini, Präsident der Gesellschaft.

Foto: René Gaens / Feralpi Stahl
Inhaltsverzeichnis
Bei industriellen Großinvestitionen in die deutsche Grundstoffindustrie – sie sind extrem selten geworden – sprechen die Festredner heute bereits von „einem Wunder“. Über ein solches jedenfalls freut sich der Oberbürgermeister der sächsischen Stahlstadt an der Elbe. Nach 1990 hatte das riesige Rohr- und Stahlkombinat mit seinen rund 10.000 Beschäftigten wirtschaftlich keine Perspektive. Als Feralpi Stahl hier 1994 einstieg, entstanden ein völlig neues Stranggusswerk für Stahlschrott und ein Walzwerk. Nun errichteten die Italiener ein zweites Walzwerk, das technologisch Neuland betritt und lokal ohne CO2-Emissionen auskommt. Es ist die größte Investition des in der Stahlbranche eher mittelgroßen Unternehmens überhaupt. Die neue Anlage kann mehr als 900.000 t Stahl zu Baustahlstäben walzen, wobei die Endlosstäbe von einem Durchmesser von 8 mm bis 25 mm maschinell auf bis zu 8 t schwere Spooler gewickelt werden.
Im neuen Walzwerk entsteht Baustahl aus recyceltem Schrott
Der Kern der Innovation liegt einerseits auf der konsequenten Warmverarbeitung der im Stahlwerk gefertigten Knüppel, die über eine rund 300 m lange Rollbrücke rot glühend mit etwa 950 °C auf die Walzstrecke gelangen. Die 12 m langen Halbzeuge müssen für das Walzen nur um rund 100 °C aufgewärmt werden, was mit einem Induktionsofen mit einer Anschlussleistung von 10 MW möglich ist. Damit setzt der hier hergestellte Baustahl, der komplett aus recyceltem Schrott gewonnen wird, einen neuen Benchmark beim ökologischen Fußabdruck. Bisher ist für diesen Prozess der Einsatz von Gas üblich, so auch in der Altanlage, die in Riesa weiter betrieben werden soll.
100 neue Stellen entstehen
Zudem ist die etwa 400 m lange Walzstrecke, die vom italienischen Anlagenbauer Danieli stammt, so weit digitalisiert, dass mittels der Echtzeitdaten die Steuerung von einer Leitwarte über sechs große Monitore erfolgt. Lediglich bei den regelmäßigen technischen Revisionen müssen Arbeitskräfte direkt an die Anlage. 100 neue Stellen müssen für den durchgehenden Drei-Schicht-Betrieb besetzt werden. Allerdings schaffe die moderne Technologie auch einen wichtigen Anreiz, Fachkräfte mit der erforderlichen hohen Qualifikation zu finden. Das klassische Bild des Stahlarbeiters wandle sich immer weiter, die Belegschaft werde auch weiblicher und internationaler, berichtet Uwe Reinecke, Generalmanager von Feralpi Stahl.

100.000 t Schlacke jährlich gehen an die Bauindustrie
Das neue Walzwerk ist nur ein Teil der Gesamtinvestition. Feralpi Stahl hat in Riesa auch ein neues Umspannwerk gebaut, bei dem durch eine gasisolierte Schaltanlage auf den Einsatz des äußerst klimaschädlichen Schwefelhexafluorids verzichtet werden kann. Eingesetzt wird hier eine Mischung aus Sauerstoff und Stickstoff, den Hauptbestandteilen der Atmosphäre. Dazu kommen sechs verlustarme neue Großtransformatoren aus dem Dresdner Werk von Siemens Energy. Auch die Aufbereitungsanlage für Schrott, der zum Teil per Bahn, überwiegend aber noch per Lkw angeliefert wird, ist in den letzten Monaten modernisiert worden. Damit können mehr Fremdmetall, Glas und auch Mineralstoffe vor der Schmelze entfernt werden. Die anfallende Schlackemenge beträgt derzeit jährlich rund 100.000 t, wovon der größte Teil von der Bauindustrie als Zuschlagstoff abgenommen wird.
Eröffnungsfeier: Kritik an EU-Kommission und Bund
Auf der Eröffnungsfeier waren allerdings auch unüberhörbar kritische Stimmen zu hören, die von der neuen Bundesregierung und der EU-Kommission einen schnellstmöglichen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik forderten. Guiseppe Pasini etwa betonte seinen festen Glauben an die industrielle Stärke Deutschlands, doch seien deutliche Verbesserungen bei den Industriestrompreisen, der digitalen und der verkehrstechnischen Infrastruktur wichtig dafür, dass dies so bleibe. „Europa muss sich entscheiden, ob wir weiterhin eine eigene Grundstoffindustrie brauchen oder uns auf Dienstleistungen beschränken wollen“, sagte der Firmenchef. Dem stimmte auch Kerstin Maria Rippel zu. Die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl sprach von einer derzeitigen „Überflutung mit billigem chinesischen Stahl“, auf die die EU schnellstens reagieren müsse. Der in Brüssel vorgelegte Stahlaktionsplan sei viel zu vage, es gehe um faire Wettbewerbsbedingungen. China, aber auch Indien hätten enorme Preisvorteile, weil dortige Unternehmen nicht am CO2-Handel teilnehmen müssten. Zudem trete vor allem China immer mehr als Käufer von Schrott auf. Die deutschen Exporte seien innerhalb weniger Jahre um 50 % auf rund 15 Mio. t angewachsen.
„Das Investment lohnt sich nur, wenn wir ausreichend bezahlbaren Strom haben“
Vor den hohen Energiepreisen in Deutschland kann sich Feralpi Stahl auch mit dem Umstieg von Erdgas auf Strom sowie mit dem durchgehenden Warmprozess vom Guss bis zum Walzen nicht grundlegend schützen. Im letzten Winter, als eine länger anhaltende Dunkelflaute die Strompreise an der EEX auf 300 € und mehr steigen ließ, musste das Unternehmen eine kurze Zwangspause einlegen. „Wir sind auf einen kontinuierlichen Prozess mit 24/7 ausgelegt, das Investment lohnt sich nur, wenn wir ausreichend und bezahlbaren Strom haben, der am besten aus erneuerbaren Quellen stammt“, sagt Bernd Fischer, Leiter des Projektmanagements im neuen Walzwerk. Insofern sei auch das Thema einer Umstellung auf grünen Wasserstoff für sein Unternehmen zu bewerten. „Wir sind im Kernnetz mit aufgeführt, aber nun muss erst einmal die Leitung stehen und auch der Wasserstoff zuverlässig und zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sein“, sagt er. Für Feralpi stehe aber noch keine Entscheidung fest, ob man auch im alten Walzwerk nicht besser auf Strom umstellen sollte.