Technologies to watch 02. Jan 2023 Von Axel Zweck und Bettina Reckter Lesezeit: ca. 15 Minuten

Diese technischen Entwicklungen könnten den Durchbruch an den Märkten von morgen schaffen

Innovationen drehen das Rad der Technik in Richtung Zukunft. Lesen Sie hier, welche Entwicklungen in den nächsten Jahren von sich reden machen werden.

Am Lawrence Livermore National Laboratory gelang kürzlich ein weiterer Fortschritt auf dem Weg zur Kernfusion.
Foto: LLNL

Moderne Gesellschaften stehen zunehmend vor der Herausforderung, wie sie sich besser auf Krisen vorbereiten und den Umgang damit in den Alltag integrieren können. Dabei gilt es, gleich mehrere Herausforderungen wie Pandemie, Klimawandel oder eskalierende politische Konflikte zu bewältigen. Diese pausenlose Krisenfolge mit ihren weitreichenden Konsequenzen lässt sich treffender als „Permakrise“ bezeichnen. In dieser zeigen sich die zahlreichen systemischen Abhängigkeiten und die immer engere Vernetzung sozialer und technischer Innovationen in modernen Gesellschaften. Zugleich erleben wir eine Zeit wesentlicher technologischer Fortschritte, die von entscheidender Bedeutung sind für eine Anpassung an einen derartigen Wandel und den Aufbau von neuen Wertschöpfungsketten oder besser: von Wertschöpfungsnetzen.

Jedes Jahr stellen VDI nachrichten und VDI Technologiezentrum unter zentraler Mitwirkung von VDI Research eine Auswahl wissenschaftlicher und technologischer Trends vor, die absehbar zu Innovationen in verschiedenen Anwendungsbereichen führen können. Ein Teil der vorgestellten Projekte wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Liste dieser „Techologies to Watch“ bietet Impulse zu Fortschritten in ganz unterschiedlichen Bereichen.

Wir haben einige interessante Ideen herausgegriffen, die wichtige Beiträge zum adaptiven Umgang mit den genannten gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen versprechen. Dabei sind Ansätze gefragt, die Robustheit und Flexibilität miteinander verbinden. Die vorgestellten Technologieentwicklungen bereichern bestehende Verfahren durch neue Erkenntnisse oder bieten Ansätze für veränderte Herangehensweisen und Perspektiven in verschiedenen Bereichen. Das betrifft die klimaresiliente Gestaltung von Städten oder den Schutz kritischer Infrastrukturen vor extremen Wetterereignissen ebenso wie die Nutzung des kreativen Potenzials von Künstlicher Intelligenz.

Auch Technologien zur Einsparung von Energie oder deren effizientere Nutzung, zur Vermeidung oder dem Recycling von Abfall und dessen nachhaltige Transformation sind prominente Beispiele für mögliche Anpassungen im sich schnell wandelnden Umfeld. Ihr Zusammenspiel ermöglicht Lösungen, die unsere Gesellschaft auch im Umgang mit der Permakrise robuster machen können.

Solarkraftwerk im Weltall beamt Energie zur Erde

Foto: Andreas Treuer

Die Idee ist verwegen: riesige, modular zusammengesetzte Solarkraftwerke im Weltall, die die Sonnenenergie bündeln und zur Erde hinunterbeamen. Klingt spacig? Ist aber kürzlich auf der Ministerratskonferenz der europäischen Raumfahrtbehörde ESA in Paris von den Mitgliedstaaten finanziert worden. In den kommenden drei Jahren will die ESA nun einen Vorschlag für eine Demonstrationsmission in den frühen 2030er-Jahren ausarbeiten, die dann 2025 beschlossen werden könnte. Solaris heißt das Programm. Die Idee in Kürze: Solarpanels im Erdorbit fangen 24 Stunden am Tag die Sonnenenergie ein und wandeln diese in Strom. Der wiederum wird in Mikrowellenstrahlung umgewandelt, die zur Erde hinuntergebeamt wird. So soll die Photovoltaik grundlastfähig werden, also unabhängig von Wetter, Tages- und Jahreszeit. Dass dieses Beamen grundsätzlich funktioniert, wurde zumindest auf der Erde schon mehrfach demonstriert. Aber es gibt viele offene Fragen. Wie sollen die Kraftwerke im Orbit montiert und instand gehalten werden? Sind die Raketenstartkosten niedrig genug? Was passiert, wenn Weltraumschrott (oder eine feindliche Rakete) in die riesigen Flächen rast? Und was passiert mit Vögeln, die in die Mikrowellenstrahlung geraten? har

Kernfusion erzeugt erstmals mehr Energie, als hineingesteckt wurde

Foto: LLNL

Der Jubel war groß, als am 13. Dezember 2022 das Lawrence Livermore National Lab (LLNL) in Kalifornien verkündete, es sei erstmals gelungen, in einem Kernfusionsexperiment mehr Energie herauszuholen, als man über die Fusionslaser hineingesteckt habe. Das lässt die Hoffnung bei allen Beteiligten keimen, eines Tages könnte auch ein Fusionskraftwerk gelingen – und uns aus der Energieklemme rausholen, in der wir stecken.

Ist es also der große Durchbruch? Es ist vor allem ein symbolträchtiger Schritt. Aber der Netto­energiegewinn ergibt sich nur im engen Rahmen. Insgesamt steckt das LLNL-Team immer noch viel mehr Energie in das Experiment in seiner National Ignition Facility (NIF) hinein, als es herausbekommt. Ein Fusionskraftwerk? Weit entfernt. Aber die Kernfusion war schon mal fast komplett abgeschrieben. Der Erfolg in Kalifornien setzt ein Zeichen, nicht nachzulassen. Und es dürfte den Investoren, die inzwischen viel Geld in Start-ups rund um diese Technologie stecken, anzeigen, dass es sich für sie wirklich lohnen könnte. Es wird in den nächsten Jahren spannend sein zu beobachten, was hier noch kommt. swe

Netztechnik kommt endlich ohne Treibhausgase aus

Foto: mauritius images / hans engbers / Alamy

Die Mitteilung kam im Frühjahr dieses Jahres vom Kölner Energieversorger Rheinenergie: „Die Vergabe der ersten SF6-freien GIS in der 110-kV Hochspannungsebene erfolgt … Die Inbetriebnahme der GIS ist für Ende 2023 geplant.“ GIS steht für gasisolierte Schaltanlage. Die Rheinenergie ist längst nicht der erste Versorger, der solches meldet, es werden mehr. SF6-freie Schalttechnologie kommt in der Praxis an, diskutiert doch die EU hier seit April 2022 konkret ein Update der entsprechenden F-Gas-Regelungen mit einem strikten Phase-out. Denn SF6 ist ein hochwirksames Treibhausgas und wird als Isoliergas in Netzschaltanlagen eingesetzt.

Offenbar ist der politische Druck nötig, um technologischen Alternativen zum Marktdurchbruch zu verhelfen. Seit vielen Jahren ist von einschlägigen Anbietern zu hören: „Ja klar, wir haben diese Technik.“ Aber es hieß auch immer: „Nein, zu teuer“, „konservative Käuferschicht“, „es dauert, bis sich das durchsetzt“ oder Ähnliches. Der Ersatz von SF6 durch klimaneutrale Alternativen ist technisch möglich und längst überfällig. Auch in den noch höheren Spannungsebenen tun sich immer mehr Alternativen auf. Und da Netztechnik, der Aus- und Umbau der Stromnetze in den nächsten Jahren, zentral für die Energiewende in Europa sein wird, ist es entscheidend, SF6-freie Technologien bald verfügbar zu haben. swe

Elektromobilität: Solarstrom vom Dach ins Auto – und umgekehrt

Foto: Hager Group

Die Vision wird allenthalben bemüht: Setz dir eine Solaranlage aufs Dach, schaff dir ein Elektroauto an – und fertig ist die private Energiewende! Vehicle-to-Home (V2H) heißt das. Denn der Pkw-Akku dient als hauseigener, netzdienlicher Zwischenpuffer. Dumm nur: Lange wurden Elektro-Pkw verkauft, die nicht bidirektional zu nutzen waren. Es gab eine elektrische Einbahnstraße: Der Solarstrom kann vom Dach ins Auto kommen – aber nicht umgekehrt. Das ändert sich gerade. Dabei hängt so viel dran in Sachen Energiewende: Man addiere zum bidirektional ladefähigen Elektro-Pkw einen Smart Meter und ein Energiemanagementsystem für das gesamte Eigenheim-Ökosystem, dann wird die Sache hausintern rund und extern netzdienlich. Trotz langem Anlauf werden wir in nächster Zeit endlich die Smart Meter und bidirektional ladefähige E-Autos in der Praxis sehen. swe

Industrielle Transformation: Mit Ökostrom zur Dekarbonisierung

Foto: Rainer Weisflog

Power-to-X-Technologien stehen bei der Dekarbonisierung hoch im Kurs. Ihre Kurzbeschreibung: Nehme Ökostrom (erwiesenermaßen klimaneutral) und mach was anderes draus: Gase, Chemikalien, Materialien. Egal was, es ist dann auch klimaneutral. Darauf setzen viele Industrien große Hoffnungen bei der für den Klimaschutz nötigen Transformation. Es ist aber zu beobachten, dass der Begriff weiter zu fassen wäre: Y-to-X. Mach irgendwas zu irgendwas anderem. Wichtig: Was reinkommt, ist klimaneutral – rein technologisch. Es macht also Sinn, sich industrielle Prozessketten anzusehen, um entsprechende Transformationspfade zu erkennen. Aber es ist politisch umstritten, wie bei blauem Wasserstoff und CCS (Carbon, Capture, Sto­rage). Weltweit setzen genau darauf aber viele Branchen. Da wird viel passieren, weil schnelle Dekarbonisierung sonst kaum möglich scheint. swe

Wärmebrücken an Gebäuden in Sekundenschnelle feststellen

Foto: PantherMedia / smuki

Vor dem Hintergrund der Energiekrise rücken Lösungen, die zur Energieeffizienz und Energieeinsparung beitragen, verstärkt in den Fokus. Da auf das Heizen und Kühlen von Gebäuden ein erheblicher Teil der Treibhausgasemissionen in Deutschland entfällt, ist die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden ein besonders vielversprechender Hebel, um Emissionen zu reduzieren.

Lösungen aus der Umweltwirtschaft helfen dabei, die Hürde einer zeitaufwendigen und kostspieligen Energieberatung für eine energieeffiziente Sanierung zu überwinden. Beispielsweise durch smarte Lösungen, wie das Messgerät der Firma Lumoview Building Analytics aus Köln, das innerhalb von 2 s Innenräume abscannt. Dabei erfasst es sämtliche Daten, die eine digitale Rekonstruktion der Räume ermöglichen, und hilft so, Wärmebrücken zu detektieren.

Die Technologie, mit der sich auch eine 3D-Modellierung der Räume erstellen lässt, besteht aus einem Messgerät und einer Cloud-basierten Software. Erzeugt werden unter anderem Grundrisse, 3D-CAD-Modelle, 360-Grad-Thermalscreenings, Raumbücher sowie Mengengerüste. Das hilft, energetische Schwachstellen aufzudecken und Modernisierungsarbeiten zu beschleunigen.   Helga Haxhiu/Hartmut Schug

Nachhaltiger bauen mit Carbonbeton

Foto: C3 – Carbon Concrete Composite e.V.

Ohne Beton geht am Bau fast nichts. Es ist der weltweit meistgenutzte Baustoff überhaupt. Doch Stahlbeton ist extrem ressourcen- und energie­intensiv in der Herstellung und verursacht erhebliche CO2-Emissionen. Wesentlich nachhaltiger und klimafreundlicher hingegen wäre der Einsatz von Carbonbeton. Dabei übernehmen Kohlenstofffasern die Funktion der bisher eingesetzten Bewehrung aus Stahl. Carbonbeton ist korrosionsbeständig und verbraucht weniger Ressourcen. Bauteile sind bei gleicher Tragfähigkeit leichter und schlanker. Noch aber ist die Herstellung teuer. Deshalb wird viel geforscht, um den nachhaltigen Verbundwerkstoff zukunftsfähig zu machen – zum Beispiel in dem vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Carbonbetontechnikum der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). Hier dreht sich vieles um die automatisierte Fertigung von Bauteilen aus Carbonbeton. ber

Günstige Dämmstoffe für die Massenanwendung am Bau

Foto: Proceram Gruppe

Mehr als 220 Mio. Gebäudeeinheiten wurden in Europa vor 2001 gebaut und gelten nach heutigen Maßstäben als nicht mehr energieeffizient. Der Bedarf an innovativen und für die Sanierung von Bestandsgebäuden optimierten Dämmstoffen ist daher immens. Große Potenziale bieten neuartige mineralische Wärmedämmputze auf Basis von Aerogelen, hochporöse Festkörper, die aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften besonders gut als Dämmmaterial gelten. Hohe Herstellpreise und geringe Verfügbarkeit verhinderten allerdings bisher einen flächendeckenden Einsatz.

In dem vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Projekt Aeroputz forschte das Unternehmen Proceram deshalb gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut Umsicht an neuen Produktionsverfahren für eine günstigere Herstellung des Dämmmaterials. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts könnten den Übergang eines bisherigen Nischenprodukts in die breite Massenanwendung beschleunigen und damit einen entscheidenden Beitrag zur effektiven und kostengünstigen Sanierung von Gebäuden und damit zum nachhaltigen Erreichen der Klimaziele leisten. Pelin Cingöz

Hydroaktive Fassaden setzen auf Kühlung der Gebäude durch Regenwasser

Foto: Sven Cichowicz

In Städten führt die dichte Bebauung dazu, dass die Temperaturen dort teilweise um bis zu 10 °C höher liegen als im Umland. Grund sind u. a. versiegelte Straßen- und Gebäudeoberflächen, die verhindern, dass Regenwasser verdunsten und so für Abkühlung sorgen kann. Zudem führt die Flächenversiegelung bei Stark­regenereignissen schneller zu Überflutungen.

Ein Team der Universität Stuttgart hat nun eine Lösung entwickelt, die beiden Problemen Rechnung trägt und dadurch einen Beitrag zur Verbesserung des Klimas in Ballungsräumen leisten kann. Möglich wird dies durch den Einsatz hydroaktiver Fassadenelemente namens „HydroSKIN“, die auf Gebäudekühlung mittels Regenwassers setzt. Die Fassade nimmt bei Regen das Regenwasser auf, speichert es und gibt es an heißen Tagen durch Verdunstungskühlung wieder ab. So werden nicht nur die Außenwände und das Gebäudeinnere, sondern auch der Stadtraum gekühlt und durch die Aufnahme von Niederschlag Schäden durch Starkregenereignisse vermindert. Eva Cebulla

Bioraffinerien erzeugen Chemikalien und Biodiesel für eine nachhaltige Wirtschaft

Foto: PantherMedia / Liane Matrisch

Die Verarbeitung von biogenen Rohstoffen wie Zucker, Fette und Holz zu Chemikalien, Biodiesel und weiteren Produkten ist ein bedeutender Wirtschaftszweig. So werden in den rund 300 Bioraffinerien in der EU jährlich 4,6 Mio. t Chemikalien und Werkstoffe hergestellt.

Das Potenzial von Biomasse ist enorm, denn neuartige Bioraffinerien sind in der Lage, selbst gasförmige Stoffe wie Kohlendioxid aus Verbrennungsprozessen und Biomethan sowie Abfallstoffe und Abwässer zu verarbeiten. Daraus entstehen vielfältige Produkte wie Chemikalien, Biowerkstoffe, andere stoffliche Produkte sowie Brenn- und Kraftstoffe. Solche Anlagen und dahingehend ausgebaute Biogasanlagen (s. Foto) könnten künftig ein neues Herzstück der chemischen Industrie bilden und helfen, fossile Rohstoffe zu ersetzen sowie Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Damit sind Bioraffinerien in der Lage, einen bedeutenden Beitrag zur Kreislaufführung von Stoffen sowie dem Aufbau von Wertschöpfungsnetzen, in denen der Abfall des einen der Rohstoff des anderen ist, und hin zur nachhaltigen Transformation der Wirtschaft zu leisten. Heike Seitz

Direktreduktion für wasserstoffbasierten Stahl

Foto: H2 Green Steel

Die Stahlindustrie steht vor einem Umbruch – womöglich schneller als gedacht. In den vergangenen zwei Jahren haben viele Stahlhersteller ihren selbst terminierten Abschied vom Hochofen drastisch vorverlegt. Die Alternative ist die Direktreduktion, bei der Wasserstoff genutzt wird, um aus Eisenerz Eisen herzustellen. Damit wären ThyssenKrupp & Co. den Großteil ihrer CO2-Emissionen los. Ab 2025/26 wollen die deutschen Hersteller nacheinander ihre Hochöfen abschalten und Direktreduktionsanlagen in Betrieb nehmen.

Deutlich schneller könnte ein schwedisches Unternehmen sein: H2 Green Steel. In der schwedischen Kleinstadt Boden – mit direkter Bahnverbindung zu den Eisenerzminen des Landes, gleich neben einem Fluss gelegen – entsteht das erste wasserstoffbasierte Hüttenwerk der Welt. Die Direktreduktionsanlage nutzt die Technologie des Marktführers Midrex, wird allerdings ergänzt um einen elektrischen Wasserstofferhitzer: Dem Wasserstoff muss Energie zugeführt werden, bevor er Eisenerz reduzieren kann. har

Mobile Schutzwand gegen Hochwasser

Foto: Aquaburg Hochwasserschutz GmbH

Die Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher, dabei treten auch Überschwemmungen vermehrt auf. Neuartige und smarte Entwicklungen können helfen, Schäden in Ortschaften und Umwelt zu minimieren. Eine Lösung kommt aus der Querschnittsbranche Umweltwirtschaft: die Aquawand der Firma Aquaburg aus Münster. Sie besteht aus einer Planen-Netz-Stahlkonstruktion und ist eine mobile Hochwasserschutzwand, die in einem im Boden eingelassenen Kanal gelagert ist. Im Bereitschaftsmodus bleibt sie unsichtbar. Im Falle eines Hochwassers lässt sie sich innerhalb von Minuten unkompliziert aufbauen.

Die mobile Schutzwand hilft aber auch dabei, Gewässer sauber zu halten, indem zum Beispiel der Austritt von Giftstoffen aus Industrielagern verhindert wird. Gleichzeitig stoppt sie potenziell gefährliches Treibgut. Zudem werden erfahrene Einsatzkräfte entlastet, da sich die Hochwasserschutzwand mit minimalem Aufwand aufbauen lässt. Auch der Aspekt Nachhaltigkeit wird berücksichtigt: Nach einer Lebensdauer von fünfzig Jahren können alle Komponenten der Wand der Kreislaufwirtschaft zurückgeführt werden. Helga Haxhiu/Hartmut Schug

Ackerbau: Messung von Trockenstress bei Pflanzen aus dem All

Foto: panthermedia.net/budabar

Auch in diesem Jahr führten Hitzewellen und zu geringe Niederschläge zu Ernteverlusten in der Landwirtschaft. Gleichzeitig wird Wasser verschwendet, indem Anbauflächen bei Trockenheit vorsorglich zu stark bewässert werden. Den Vereinten Nationen zufolge werden fast 70 % des Süßwassers in der Landwirtschaft verbraucht. Um die Bewässerung von Agrarflächen zu optimieren, will das Freiburger Start-up „constellr“ mithilfe von Mikrosatelliten aus dem Weltall den Wasserbedarf von Pflanzen ermitteln. Dazu erfassen Wärmebildkameras in Satelliten die Oberflächentemperatur der Pflanzenblätter.

Im Vergleich zu älteren Verfahren kann der neue Ansatz Daten liefern, die wenige Stunden alt sind. So lässt sich die Bewässerung kurzfristig anpassen. Die Daten werden Landwirten und Landwirtinnen übersichtlich in einer App bereitgestellt, sodass sie sehen können, wo Wasser dringend benötigt wird. Zusätzlich helfen ihnen diese Daten dabei, die zu erwartenden Ernteerträge genauer abzuschätzen. Ein erster Testlauf mit einem Satellitenprototypen war bereits erfolgreich. Mit nur vier Mikrosatelliten können weltweit tagesaktuelle Daten bereitgestellt werden. Matthias Braun

Plastikmüll: Enzym zerlegt Kunststoffe in Rekordzeit

Foto: panthermedia.net / Harald Richter

Kaum eine Bedrohung unserer Ökosysteme ist heute so deutlich sichtbar wie die Belastung der Meere durch Plastikabfälle. Aktuell werden weltweit fast 0,5 Mrd. t Kunststoffe pro Jahr produziert und ein großer Teil davon gelangt als Plastikmüll in die Weltmeere.

Forschern der University of Texas in Austin ist es mithilfe von Machine Learning gelungen, eine Enzymvariante zu entwickeln, die Polyethylenterephthalat (PET) in nur wenigen Stunden in seine ursprünglichen Bestandteile, die sogenannten Monomere, zerlegt. Der große Vorteil gegenüber traditionellen Recyclingverfahren liegt darin, dass die chemische Stabilität der Monomere erhalten bleibt und ohne zusätzlichen Erdölverbrauch wieder neue PET-Kunststoffe hergestellt werden können. Die Forschenden arbeiten nun daran, das Enzym für den industriellen Maßstab nutzfähig zu machen und eines der größten Umweltprobleme unserer Zeit zu lösen: die weltweit Milliarden Tonnen an Kunststoffmüll in Rekordzeit zu zersetzen. Thomas Werner

Tunnel und Kanäle für Funktionsmaterialien aus dem 3D-Drucker

Foto: MIT

Die mechanischen Eigenschaften – etwa Steifigkeit und Dehnbarkeit – von künstlichen Gittermaterialien lassen sich durch ihre Geometrie gut steuern. Sind zusätzliche Zustandssensoren in solchen Strukturen erforderlich, kann die Herstellung allerdings komplex und teuer, wenn nicht gar unmöglich werden. Einem Team des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist es nun gelungen, multifunktionale Materialien mit programmierbarer Mechanik und verteilter Sensorik herzustellen – durch die Formgebung eines einzigen Baumaterials. Dabei werden mittels 3D-Druck verteilte Netzwerke von leeren, luftgefüllten Kanälen direkt in die Struktur der Gittermaterialien eingebettet. Bei Verformung kommt es zu Druckänderungen in diesen Kanälen, die gemessen werden können.

Die Kanäle können insofern als eine Art „Nervensystem“ für diese Klasse von Funktionsmaterialien fungieren, die damit ihre eigene Bewegung sensorisch erfassen können. Die Verwendung eines einzigen Materials vereinfacht das Design wesentlich. Mögliche Anwendungen wären die Robotik, intelligente Strukturen und Wearables. Letztere erfassen dann zum Beispiel, wie eine Person sich bewegt. Dirk Holtmannspötter

3D-Druck: Gewebe- und Organersatz für eine personalisierte Medizin

Foto: KIT

Bioprinting, also das Verdrucken von Biomaterialien und lebenden Zellen, ist eine vielversprechende Methode für Anwendungen in den Bereichen Tissue Engineering und regenerative Medizin, an der intensiv geforscht wird. Komplexe, 3D-gedruckte Strukturen könnten perspektivisch als Gewebe- und Krankheitsmodelle für die Forschung sowie als patientenspezifische Implantate zum Einsatz kommen.

Damit dies gelingt, ist eine enge Zusammenarbeit unter anderem von Zellbiologie, Materialwissenschaften und Verfahrenstechnik nötig. So müssen die Biomaterialien der natürlichen Zellumgebung ähneln, damit Zellen darin wachsen. Und gleichzeitig müssen die Materialien nach dem Druck ihre Form beibehalten. Um behördlichen Anforderungen zu genügen und eine sichere medizinische Anwendung zu ermöglichen, sind die Vergleichbarkeit der Prozesse und ein personen- und ortsunabhängiges Druckergebnis essenziell. Erste Standards für Herstellung, Druck und Analyse solcher Materialien hat das Projekt „SOP_BioPrint“ erarbeitet. Aufbauend darauf wurde der Richtlinienausschuss VDI 5708 gegründet, um grundlegende Terminologien, Geräteanforderungen und Testmethoden zu definieren. Svenja Strauß/

David Andres Grijalva Garces/Jürgen Hubbuch

3D-Druck wie in Hollywood erzeugt Bauteile mit ultrafeinen Details in kürzester Zeit

Foto: KIT

Forschenden am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist eine Quadratur des Kreises gelungen: Sie drucken Bauteile mit ultrafeinen Details in kürzester Zeit. Bislang war diese Kombination nicht möglich: Entweder ging der Druck schnell, war dann aber eher ungenau. Oder er war präzise, dauerte dann aber Stunden. Ihren Ansatz nennen die Baden-Württemberger „Light-Sheet 3D Printing“. Er basiert auf einem speziellen Harz, das nur dort aushärtet, wo sich zwei Lichtstrahlen mit unterschiedlichen Wellenlängen kreuzen.

Das Druckprozedere: Zuerst wird mit blauem Licht das Schichtbild von unten in den Kunststoff projiziert. Dadurch wird das Material entlang des Strahlenkanals selektiv aktiviert. Dann strahlt ein roter Laser von der Seite eine Art „Lichtblatt“ in den Bauraum und härtet die Ebene aus. Dieser Ablauf wiederholt sich tausendfach – in der Dauer eines Wimpernschlags. Entsprechend schnell sind die ultrafein aufgelösten Bauteile fertig. Noch sind sie winzig. Doch eine Skalierung scheint möglich. Daran arbeiten die KIT-Forschenden bereits mit internationalen Partnerinstituten. Sollten sie erfolgreich sein, werden sich Bauteile bald wie im Science-Fiction-Film materialisieren. sta

Metaversum: Industrie kann Vorreiter werden

Foto: PantherMedia / Gorodenkoff

Für manche ist es Teil von Industrie 4.0, andere bezeichnen es als industrielles Metaversum (engl.: Metaverse). Mark Zuckerberg versucht mit Meta (ehemals Facebook) ein Metaversum als virtuellen Treffpunkt aufzubauen, in dem Menschen als Avatare interagieren können. Das läuft aber noch schleppend. In der Industrie könnte das schneller gehen. Denn hier werden bereits viele Produkte und Fabriken in dreidimensionalen Computer­modellen entwickelt und müssen nicht nachträglich erzeugt werden. Spätestens seit der Corona-Pandemie setzen zudem viele Unternehmen AR- und VR-Datenbrillen (Augmented bzw. Virtual Reality) ein, z. B. beim Service vor Ort. Insbesondere große Unternehmen und Forschungseinrichtungen beschäftigen sich mit Lösungen für das industrielle Metaversum. Einen Überblick liefert der Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie mit „Technologien und Use Cases für das (Industrial) Metaverse“. Laut Analysten von Bloomberg ist der Gesamtmarkt dafür bis 2030 rund 825 Mrd. $ groß, mit jährlichen Wachstumsraten von 39 %. Neben der Industrie sind vor allem Social-Media-Konzerne, Gaming-Industrie und Lifestyle-Marken hier aktiv. ciu

Arbeitswelt: KI und der Wandel von Kreativität

Foto: panthermedia.net/Jesussanz

Gegenwärtig findet ein Diskurs darüber statt, wie Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) lineare Routineaufgaben übernehmen und dort unterstützen können, wo einfach automatisierbare Tätigkeiten anfallen. Für eine Vielzahl von Beschäftigten könnte im Zuge dessen mehr Freiraum entstehen, um Aufgaben wahrzunehmen, die klassisch menschliche Eigenschaften wie Empathie, Kreativität und soziale Intelligenz benötigen. Gerade Kreativität ist mittlerweile branchenübergreifend einer der am meisten nachgefragten Soft Skills von Mitarbeitenden und wird künftig Einfluss auf Qualifizierungsaspekte und Rollenverständnisse haben.

Andererseits könnte KI selbst in Zukunft kreativ werden: So kann KI bereits heute in der Produktgestaltung nach bestimmten Designparametern Modelle für Prototypen anfertigen oder materielle Anforderungen austesten. Auch ästhetische Möglichkeiten könnte ein intelligenter Algorithmus sondieren und visualisieren. Ob und in welchem Maße eine kreative KI tatsächlich ethisch und moralisch erwünscht ist, ist eine Frage, der wir uns stellen sollten. Simon Beesch

Gesundheit: mRNA-Wirkstoff auch gegen Krebs?

Foto: panthermedia.net / vitanovski

Der Begriff mRNA-Impfstoff ist mit der Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 bekannt geworden. Im Gegensatz zu herkömmlichen Impfstoffen produziert der Körper die Strukturkomponente des Krankheitsauslösers selbst. Dazu wird der genetische Bauplan für ein spezifisches harmloses Eiweiß des Krankheitsauslösers über die Impfung verabreicht. Dieses wird dann von den eigenen Zellen produziert und der Organismus lernt daraufhin die spezifische Immunreaktion.

Seit Langem wird auch an mRNA-basierten Immuntherapien gegen schwere Krankheiten, insbesondere Krebs, geforscht. Anders als bei einer herkömmlichen vorbeugenden Impfung liegt der Tumor im Körper bereits vor und wird vom Immunsystem toleriert. Die Impfung muss daher bewirken, dass die Krebszellen wieder als fremd markiert werden und vom Immunsystem bekämpft werden. Das setzt ein Verständnis der zugrunde liegenden komplexen Zellvorgänge voraus. Diese können sich je nach Krebsart, aber auch je nach Patienten und Stadium der Erkrankung sehr unterscheiden. Aktuell laufen vielversprechende klinische Studien zur Untersuchung eines solchen Ansatzes bei der Behandlung von Dickdarm- und Hautkrebs. Sollten sie erfolgreich sein, könnten mRNA-Wirkstoffe die Behandlung bei Krebserkrankungen grundlegend verändern. Sylvie Rijkers-Defrasne

Landtechnik 4.0: Nachhaltig ackern mit dem Agrarroboter

Foto: BMEL/Phototek

Noch prägen große Traktoren das Bild auf unseren Feldern. Doch inzwischen sorgen immer mehr hoch automatisierte und autonome Agrarroboter für Aufsehen. Auf dem Digital-Gipfel Anfang Dezember in Berlin informierte sich beispielsweise Bundeskanzler Olaf Scholz über den Agrarroboter Phoenix (Bild) der Universität Hohenheim und hob ihn damit ins Rampenlicht. Das hat gute Gründe: Kleine Geräte verdichten den Boden weniger als große Traktoren und können durch spezielle Sensorik den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger an den tatsächlichen Bedarf anpassen. Das mindert die aktuellen Konflikte zwischen der Agrarwirtschaft und dem Umwelt-, Klima- und Artenschutz.

Wie der Weg in eine nachhaltigere Landwirtschaft aussehen kann, beschreibt auch „Agriculture 4.0“, die VDI-Roadmap für nachhaltige Landtechnik 2030. Wo es hier noch Förderbedarfe für Hochschulen und Industrieunternehmen gibt, hat der VDI im Oktober unter dem Titel „Industrie-4.0-Technologien in der Landwirtschaft“ publiziert. Neben Digitalisierung und künstlicher Intelligenz geht es dabei um Anwendungen für eine höhere Energie- und Ressourceneffizienz. Daraus ergeben sich weitere Bedarfe für die Fort- und Weiterbildung sowie die Regulatorik zum Einsatz autonomer Landmaschinen. ciu

Landwirtschaft: Nutzpflanzen wachsen im Dunkeln

Foto: panthermedia.net/ fikmik

Die weltweit pro Kopf zur Verfügung stehende Ackerfläche sinkt seit Jahrzehnten kontinuierlich bei gleichzeitig steigendem Nahrungsmittelbedarf. Da der Wirkungsgrad der natürlichen Photosynthese mit etwa 1 % gering ist, werden neue Ansätze gesucht, den Anbau von Nutzpflanzen zu optimieren. Einer US-amerikanischen Forschungsgruppe ist es durch ein zweistufiges Verfahren gelungen, im noch kleinen Maßstab den Wirkungsgrad der Photosynthese zu erhöhen sowie Wachstumsprozesse in Dunkelheit stattfinden zu lassen.

Im ersten Schritt wird durch Elektrokatalyse mithilfe von Photovoltaik Kohlendioxid zu Acetat, einem Salz der Essigsäure, umgewandelt. Algen, Pilze und Pflanzen verwenden dieses im zweiten Schritt sowohl zur Energiegewinnung als auch als Kohlenstoffquelle für ihr Wachstum. Da der letzte Schritt unabhängig von Licht erfolgt, könnten in Zukunft auf diese Weise vielleicht Nutzpflanzen jenseits von Ackerflächen im Dunkeln wachsen. Ob der neue Ansatz einen Beitrag zur weltweiten Bekämpfung des Hungers leisten kann oder von ihm als exotische Anwendung nur bemannte Weltraummissionen profitieren, bleibt abzuwarten. Matthias Braun

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