Spionage im Kalten Krieg 07. Okt. 2022 Von Wolfgang Heumer Lesezeit: ca. 4 Minuten

Als das sowjetische U-Boot „Whiskey on the Rocks“ vor Schweden auftauchte

Die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines lassen Erinnerungen an sowjetische Machtdemonstrationen im Kalten Krieg wach werden. Etwa an das Drama um das vor Schweden gestrandete U-Boot S-363.

S-363 liegt gestrandet an der schwedischen Küste. Dass ein sowjetisches U-Boot so tief in ein militärisches Sperrgebiet eindringen konnte, sorgte für Zorn in der schwedischen Öffentlichkeit.
Foto: mauritius images/ TT News Agency/Alamy/Jan Collsioo

Als der schwedische Fischer Ivar Svensson eines Morgens vor sein Haus trat, bekam er am Felsenufer seiner Heimatschäreninsel Sturkö gratis „Whiskey on the Rocks“ serviert, wie es das Svenska Dagbladet später in einer Schlagzeile formulierte. Nachts hatte er bereits einen kräftigen Knall und anschließend stundenlanges Aufheulen von Dieselmotoren gehört. Nun sah er die Ursache: Nur 35 m vom Strand entfernt war ein U-Boot auf Grund gelaufen.

Die zunächst skeptische Küstenwache stellte schnell fest, dass es sich um ein Schiff der sowjetischen U-Boot-Klasse „Whiskey“ handelte. Diese Klasse hatte zwar keinen Nuklearantrieb, sondern einen dieselelektrischen, konnte aber mit Torpedos mit Atomsprengkopf bestückt werden.

Das sowjetische U-Boot S-363 verletzte die Neutralität Schwedens

Die seinerzeit zur Neutralität selbstverpflichteten Schweden schäumten vor Wut wegen der eklatanten Verletzung ihrer Landesgrenzen durch den militärischen Besuch aus dem russischen Kaliningrad. Das Ganze geschah am 27. Oktober 1981. Angesichts des Ukrainekrieges hat Schweden seine Neutralität inzwischen aufgegeben. Und nach den aktuellen Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines ebenfalls in schwedischen Gewässern kommt jetzt die Erinnerung an die ungebetenen Gäste wieder hoch.

Als die Rote Flotte im Schwarzen Meer auf Kollisionskurs ging

Warum sich das 76 m lange U-Boot mit dem Namen S-363 und seine 56 Mann Besatzung so weit in die schwedischen Hoheitsgewässer gewagt hatte, ist bis heute ungeklärt. Es habe sich um einen Navigationsfehler gehandelt, erklärten sowohl der Kommandant wie die schon damals im Verschleiern und Verändern von Wahrheiten geübte Regierung in Moskau.

Das sowjetische U-Boot der Whiskey-Klasse fuhr in ein Gebiet voller Minen und Riffe

Schon ein schneller Blick auf die Seekarte zeigt, dass diese Begründung kaum stimmen konnte. Die Gewässer des südschwedischen Schärengartens sind voll winziger Inseln und zahlreicher kaum zu erkennender Hindernisse unter Wasser; abgesehen von wenigen schiffbaren Rinnen ist das Seegebiet mit Wassertiefen von 1,5 m bis 3,1 m verhältnismäßig flach. Zudem war die Region zumindest seinerzeit umfassend durch Unterwasserwälle und Seeminen gesichert. Wer dort hineinfährt, macht es nicht aufgrund eines Irrtums. Das Ziel der Sowjets war mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dem Zufall überlassen. Die etwa 15 km Luftlinie nördlich der Strandungsstelle gelegene Stadt Karlskrona ist einer der wichtigsten Marinestützpunkte Schwedens.

Mit dem Ruderboot besichtigt ein Schwede das sowjetische U-Boot. Den vom Kapitän behaupteten Navigationsirrtum glaubten im Westen die Wenigsten. Foto: mauritius images/ TT News Agency/Alamy/Jan Collsioo

Dass es ein sowjetisches Kriegsschiff überhaupt unbemerkt schaffen konnte, so tief in ein umfangreich geschütztes militärisches Sperrgebiet einzudringen, erregte die schwedische Öffentlichkeit mindestens so sehr wie der Zorn auf Moskau. Der Vorfall war aber nicht der erste und vermutlich auch nicht der letzte dieser Art.

In 50 Jahren wurden 20 U-Boote vor der schwedischen Küste gesichtet

Auf einer inoffiziellen Liste sind einschließlich „Whiskey on the Rocks“ 20 U-Boot-Sichtungen zwischen 1962 und 2014 notiert. Mindestens drei dieser Vorfälle gelten als gesichert. Mehrfach setzte die schwedische Marine Wasserbomben gegen mutmaßliche Eindringlinge ein; aber nur in den wenigsten Fällen wurde tatsächlich ein Schiff gefunden und identifiziert. Im Oktober 2014 hielt ein Vorfall in den Schären vor Stockholm tagelang Militär und Medien in Atem. Mehrere Zeugen wollten ein U-Boot in den engen Gewässern vor der schwedischen Hauptstadt beobachtet haben.

Die Werft der Deutschen Marine in Warnemünde

Trotz eines Großaufgebotes an Marineschiffen und Ortungstechnik wurde das Objekt allerdings nicht gefunden. Jahre später sickerte durch, dass die Marine bereits während ihrer groß angelegten Suche ahnte, einem Irrtum aufgesessen zu sein. Das als wichtigster Beweis für die Existenz eines Eindringlings von einem schwedischen U-Boot aufgefangene Signal stammte tatsächlich von einem zivilen Schiff, das eine Wetterboje orten wollte.

Schweden begriff die Besuche der U-Boote als sowjetische Machtdemonstrationen

Erfolg bei der U-Boot-Suche konnten dagegen Sporttaucher im Jahr 2015 vermelden. Das von ihnen entdeckte Kleinunterseeboot mit kyrillischen Schriftzeichen auf dem Rumpf erwies sich später jedoch als bereits im Ersten Weltkrieg versenktes russisches U-Boot. Die Sorge der Schweden vor unerwünschten Unterwasserbesuchern aus Russland hat allerdings ernste Hintergründe. Die mutmaßlichen U-Boot-Besuche wurden stets als Machtdemonstration aus Moskau interpretiert, dass es die Schiffe der Roten Flotte ohne Weiteres bis ins militärische Herz Schwedens schaffen.

Das Ende des Schulschiffs Deutschland

Seit den 1990er-Jahren ist Schweden auch deshalb immer enger an die Nato herangerückt. Spätestens seit der Annexion der Halbinsel Krim durch Russland wächst die Besorgnis, dass Wladimir Putin ein Auge auf andere Länder werfen könnte. Anfang dieses Jahres inszenierte das schwedische Militär auf der sonst eher beschaulichen Insel Gotland das weithin sichtbare Manöver einer schnellen und schwer bewaffneten Eingreiftruppe gegen ausländische Aggressoren.

Nicht nur die Schweden hielten sowjetische U-Boote der Whiskey-Klasse auf Trab. Im Jahr 1987 beäugten sich ein Sowjet-U-Boot und die britische Fregatte HMS Rothesay gegenseitig. Foto: US Navy/public domain.

Analysten vermuten dahinter die Furcht der Schweden, Russland könne sich bei Angriffen auf die ehemaligen Sowjetrepubliken im Baltikum auch Gotland unter den Nagel reißen. Das Argument: Die einstige Wikingerinsel wäre ein wichtiger Standort für russische Raketensysteme, um die Lufthoheit über den gesamten Ostseeraum zu gewinnen.

Henning Mankell verarbeitete die U-Boot-Sichtungen in einem Buch

Ob diese Spekulationen gerechtfertigt oder nur fantasievoll sind, bleibt ein militärisches Geheimnis. An der Lösung solcher Rätsel beteiligte sich auch Schwedens wohl bekanntester Krimiautor. In seinem zehnten und letzten Buch über Kommissar Wallander taucht Henning Mankell buchstäblich in die U-Boot-Geschichte seines Heimatlandes ein. „Der Feind im Schatten“ basiert auf den rätselhaften U-Boot-Sichtungen, die im Oktober 1981 mit dem „Whiskey on the Rocks“ vor der Haustür von Ivar Svensson begannen.

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