Mobilfunk: Wie Vodafone sich Mannesmann und D2 schnappte
Wie die britische Vodafone sich den deutschen Traditionskonzern Mannesmann mit seiner boomenden Mobilfunksparte D2 aneignete, ihn danach zerlegte und dann abwickelte.
Die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone ist eine Geschichte mit Hauen und Stechen, in der im Mobilfunkmarkt kaum ein Stein auf dem anderen blieb. In deren Verlauf wurde nicht nur ein hiesiges Traditionsunternehmen übernommen, filetiert und verhökert, sondern auch mehrere ökonomisch-technische Paradigmenwechsel vollzogen: die Entmachtung der Netzbetreiber, die Entkopplung von Netz und Endgerät, der Siegeszug des Shareholder Value und der Start der heute alles bestimmenden Plattformökonomie.
Mobilfunk D2: Mannesmann setzte sich bei der Vergabe der privaten Mobilfunklizenz gegen BMW und Daimler durch
Alles begann relativ normal. 1991, schon zwei Jahre nach dem Fall des Netzmonopols 1989 und dem Start des liberalisierten Festnetzmarkts – bis dahin war es alleinige hoheitliche Aufgabe der Deutschen Bundespost, Telefonnetzwerke zu betreiben und Endgeräte zu verkaufen – startete das Post-Folgeunternehmen Deutsche Telekom ihr D1-Netz.
Die Zukunft des Mobilfunks stets im Blick
Wenige Monate später erkannte Peter Mihatsch („Mr. Handy“) beim Mischkonzern Mannesmann das ökonomische Potenzial mobilen Telefonierens und war maßgeblich an der Gründung von Mannesmann Mobilfunk beteiligt.
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Schon 1989 hatte Mihatsch für Mannesmann die erste private Mobilfunklizenz gegen namhafte Konkurrenten wie Daimler und BMW gewonnen. Mitte 1992 gingen mit Mannesmann und der Telekom gleich zwei Anbieter nahezu zeitgleich mit ihrem privaten Mobilfunk an den Start. Das Unternehmen Mannesmann setzte mit D2 nach den analogen A-, B- und C-Netzen auf sein in Deutschland mehrdienstfähiges (Sprache, Text und Daten), zellulares, digitales Mobilfunksystem im GSM-900-Frequenzbereich. GSM steht für Global System for Mobile Communications, die 900 für 900 MHz. Die USA etwa funken auf den Frequenzbereichen GSM 850 und GSM 1800, sodass damals nur dualbandfähige Geräte hüben wie drüben funktionierten. Heute sind fast alle modernen Smartphones mindestens Dualband-Geräte.
Mobilfunk D2: Mannesmann hatte die Zeichen der Zeit erkannt – und damit den Hai Vodafone auf sich aufmerksam gemacht
Danach ging alles erst neu und zäh und anschließend sehr schnell. D2 überholte D1 bei Kundenvolumen, technischer Innovation und Netzqualität. Die Funktelefonkoffer aus den Vorgängernetzen wichen immer kleineren sogenannten Handys. Nokia (Communicator), damals noch absoluter Marktführer und Trendsetter, trat in Konkurrenz zu Siemens (S4) und Motorola, dem ersten Klapphandy in Deutschland. Apple war in diesem Markt noch vollkommen unbedeutend.
Der homo telefonensis eroberte seine Räume im Stadtbild, der Funkknochen am leicht geneigten Kopf wurde zur Ikone kommunikativen Fortschritts und das Brabbeln ohne sichtbares Gegenüber führte zu ersten tech-kritischen Irritationen.
An Fahrt gewann der Mobilfunkmarkt nicht etwa mit dem Eintritt zweier weiterer Netzbetreiber, E-Plus und Viag Interkom (später Telefónica), sondern durch den aggressiven Expansionskurs des britischen Unternehmens Vodafone und mit dem Einstieg von Apple in das TK-Geschäft. Für damals sagenhafte 190 Mrd. € schluckte Vodafone im Jahr 2000 die damalige Mannesmann AG, einen Mischkonzern mit Wurzeln im Röhren- und Engagements im Automotive-Geschäft. Mihatschs D2-Sparte erwirtschaftete noch 1999 mit rund 7000 Beschäftigten hohe Gewinne und sollte europaweit wachsen.
Mobilfunk D2: Die Aktionäre von Mannesmann konnten dem spektakulären Angebot von Vodafone nicht widerstehen
Dann aber geriet D2 ins Visier des mit allen Shareholder-Value-Wassern gewaschenen Chris Gent. Der Londoner Börsenliebling erkannte früh die suggestive Kraft der Spekulation auf schnelle, hohe Gewinne und bereitete einen Deal vor, dem die Mannesmann-Aktionäre trotz hohen Widerstands aus Politik und Gesellschaft nicht widerstehen konnten.
Am 3. Februar 2000 unterzeichnete der damalige Vorstandschef Klaus Esser nach langer Gegenwehr einen Übernahmevertrag. An der bis dahin teuersten Übernahmeschlacht der Wirtschaftsgeschichte verdiente Esser mit „Anerkennungsprämien“ und Abfindungen rund 30 Mio. €. Das kecke Victoryzeichen von dem Mannesmann-Aufsichtsrats- und Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zum Auftakt des Mannesmann-Prozesses, in dem Esser sich verantworten musste, ging um die Welt. Die „Deutschland-AG“ hatte ein Vorzeigeunternehmen weniger und der Wirtschaftsstandort Deutschland ein Problem mehr: kaum noch wirkliche Player, die in hauptsächlich renditeorientierten Märkten Zeichen setzen konnten.
Der Mobilfunkmarkt wächst und verändert sich rasant
Wichtig aber wurden Shareholder Value und Plattformökonomie um die Jahrtausendwende auch und gerade für den Mobilfunk. Parallel zu globalisierten und digitalisierten Geschäftsprozessen gewann die mobile Datenübertragung an Bedeutung. Immer neue privat genutzte mobile Anwendungen eroberten den Markt und die Nutzenden. Später trieben Whatsapp oder zunehmend auf Smartphones angebotene „Social Media“ genannte Dienste wie Twitter oder Facebook die Mitgliederzahlen in die Milliarden. Damals wurden Anwendungen im industriellen Bereich immer wichtiger mit mobilen Datenverbindungen, Location Based Services und nicht zuletzt dem industriellen Internet der Dinge (IIoT).
Mobilfunk: Hohe Nachfrage bei industriellen 5G-Netzen
Mit dem iPhone von Apple veränderte sich alles – da hatte Vodafone ausnahmsweise mal nicht die Nase vorn
Das enorme Marktpotenzial im mobilen privaten Web erkannten weder Sony (Walkman) noch Nokia (Communicator), sondern der PC- und Unterhaltungselektronikrebell Apple. Im Januar 2007 stellte Apple-Chef Steve Jobs in den USA das erste iPhone vor. Im Jahresverlauf konnte T-Mobile sich mit einem exklusiven Deal für Deutschland durchsetzen. Vodafone hatte das Nachsehen und kam erst später mit dem disruptiven Gerät auf den Markt.
Doch Smartphone-Verfügbarkeiten oder Tarifakrobatik sind nur nebensächliche Scharmützel im umkämpften Mobilfunkmarkt. Seit dem Einstieg von Apple und dem von Jobs anschließend vollzogenen Bedienungsparadigmenwechsel (Touchscreen), tickten die Uhren anders. Und mit dem Bedeutungszuwachs der Always-on-Maxime, nach der nur noch derjenige im Netzgeschäft erfolgreich ist, der seine Klientel in einer Art Dauerschleife bespielt, wurden Netzbetreiber zu bloßen Erfüllungsgehilfen der Plattformunternehmen. Zusätzlich nagten Gewinn schmälernde Roaming-Regularien aus Brüssel, Datenumsatzbeteiligungen und nicht zuletzt steigender Innovationsdruck aus dem Internet am klassischen Geschäftsmodell der Carrier.
Der Mobilfunkmarkt bleibt auch weiterhin in lebhafter Bewegung
So wirkt die Rückschau auf 30 Jahre D2-Mobilfunk wie der Blick in die Röhre: Das große Geschäft auf den breitbandigen und schnellen mobilen Datenverbindungen machen andere. Zufriedenstellende Erlösmodelle vermag selbst die multinational aufgestellte Vodafone Group mit Gent-Nachfolger Nick Read nicht mehr ohne Weiteres zu entwickeln. Das können anscheinend andere, die noch größere Nutzermassen mit noch größeren Nutzenversprechen adressieren – Plattformriesen wie Meta, Google, Amazon oder Microsoft. Allerdings nur anscheinend.
Denn auch deren Versprechen, die auf Wachstum im Virtuellen zielen, ziehen angesichts von Klimakatastrophe, Artensterben und Kriegsgefahr nicht mehr richtig. Konsumenten und Konsumentinnen scheinen im mobilen Konsum statt auf Wagnis lieber auf reale Gegenwartsdienste zu setzen. Doch für diese werden die Karten gerade erst neu gemischt: mit hybrider Mobilität (teil- und vollautonome Fahrzeuge), augmentierter Zielbeschreibung (Google Maps) oder autonom agierenden industriellen Prozessen (IIoT).