Der Ökonom Mathias Binswanger über Wachstum, Statusdenken und Pandemie 19. Juli 2022 Von Wolfgang Schmitz Lesezeit: ca. 7 Minuten

„Die kapitalistische Wirtschaft wird sich der Sinnfrage stellen müssen“

„Der materielle Wohlstand war ein Heilsversprechen auf eine bessere Zukunft“, sagt Mathias Binswanger. Dieses Wirtschaftskonzept werde mehr und mehr zu einer Tretmühle, aus der die mittlerweile stark zerfaserte Gesellschaft einen Ausgang finden müsse. Der Schweizer Ökonom und Bestsellerautor zu New Work, grünen Technologiefantasien und Richard David Precht.

Der Fortschrittsglaube treibt das Hamsterrad an. „Er wird auf die Spitze getrieben durch grüne Technologiefantasien und den Green New Deal“, meint der Ökonom Mathias Binswanger.
Foto: PantherMedia / SergeyNivens

VDI nachrichten: Herr Binswanger, vor einigen Tagen sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, Deutschland stehe vor schweren Zeiten. „Die fetten Jahre sind jetzt erst mal vorbei.“ Deutschland sei viele Jahre durch eine „Wohlstands- und Wohlfühloase“ getaumelt. Bei Ihnen heißt die „Wohlfühloase“ „Tretmühle“. Ein gravierender Unterschied. Wo befinden wir uns denn jetzt?

Binswanger: In beiden Welten. Die Wohlfühloase ist das Zuckerbrot, die Tretmühle die Peitsche. Wir leben ja nach wie vor sehr gut in Deutschland und in der Schweiz. Gleichzeitig werden wir durch das Wirtschaftssystem getrieben, nicht nachzulassen. Denn nur solange ein bestimmtes Wachstum stattfindet und die Konsumenten unersättlich bleiben, funktioniert diese Wirtschaft. Der materielle Wohlstand war ein Heilsversprechen auf eine bessere Zukunft. Die Aufrechterhaltung dieses Wohlstands wird aber mehr und mehr zu einer Zwangshandlung. Damit verliert dieses Versprechen an Glaubwürdigkeit. Die kapitalistische Wirtschaft wird sich der Sinnfrage stellen müssen.

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