Studie „Autos und Stadtraum“ 11. Nov 2022 Von Wolfgang Schmitz Lesezeit: ca. 3 Minuten

Wissenschaftler geißeln deutsche Autoindustrie für umweltfeindliche Strategien

Eine aktuelle Studie beschreibt Fehlentwicklungen in der Autoindustrie. Die Autoren kommen zu einem vernichtenden Ergebnis: von Umweltfreundlichkeit und lebenswerten Städten keine Spur, so die Wissenschaftler. „Es ist nicht das, was in der Stadt- und Verkehrsplanung gegenwärtig und künftig notwendig ist.“

Ist das die Zukunft des Stadtverkehrs? Sicher nicht. Zwei Verkehrsforscher fordern von Autofirmen eine Abkehr vom „höher, schneller, weiter“.
Foto: panthermedia.net/xload

43 % der im Jahr 2019 neu zugelassenen Pkws waren großvolumig. Jeder fünfte davon war ein SUV und jeder zehnte ein Geländewagen. Nur ein Fünftel waren Kleinwagen, Minis oder zählten zur Kompaktklasse. Zudem sind die Pkws seit 1950 immer länger geworden. Die maximale Länge beträgt gegenwärtig 6,80 m. Das sind rund 60 % mehr. Auch sind die Pkws in den vergangenen 70 Jahren in die Breite gegangen – auf über 2,10 m mit Spiegel. Das ist eine Steigerung um fast 35 %.

Die Zahlen haben Felix Huber von der TU Berlin und Oliver Schwedes von der Universität Wuppertal in ihrer Studie „Autos und Stadtraum“ erhoben. Sie spiegeln für die beiden Verkehrswissenschaftler ein Bewusstsein in der deutschen Autoindustrie wider, das weder den Erfordernissen des Klimawandels gerecht wird noch eine Stadt- und Verkehrsplanung im Blick hat, die den städtischen Verkehr für alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer – Fußgänger, Radfahrende, Kinder, ältere Menschen und den ÖPNV – gerechter und die Städte lebenswerter und umweltfreundlicher machen will.

Die Dominanz des Autos wird von anderen Verkehrsteilnehmern als ungerecht empfunden

„Es ist, als ob sich die deutsche Automobilindustrie der olympischen Idee verschrieben hätte – höher, schneller, weiter, im Fall der Autos breiter. Nur ist es nicht das, was in der Stadt- und Verkehrsplanung gegenwärtig und künftig notwendig ist – nämlich kleine, leichte, sparsame und vor allem auch flächensparende Modelle zu bauen“, sagt Oliver Schwedes, Leiter des Fachgebiets Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin. „Und auch bei den Elektroautos konstatieren wir diesen Trend. Das ist fatal, konterkariert es doch die Grundidee des E-Autos, für eine energie-, also ressourcensparende Mobilität zu stehen“, so Schwedes. Eine weitere Fehlentwicklung sehen er und Felix Huber, der an der Bergischen Universität Wuppertal „Umweltverträgliche Infrastrukturplanung, Stadtbauwesen“ lehrt, auch in dem ungebrochenen Trend zum Zweit- und Drittwagen.

Die Digitalisierung macht die Mobilität zu einem großen Forschungslabor

„Immer mehr und immer größer werdende Autos beanspruchen naturgemäß immer mehr öffentlichen städtischen Raum und das ist zunehmend mit Konflikten behaftet und in vielerlei Hinsicht problematisch“, heißt es in der Pressemeldung der TU Berlin. „Denn die geradezu von den Autofahrenden als Grundrecht apostrophierte Inbesitznahme des öffentlichen Raums in Form von Parkplätzen, Parkhäusern und Stellflächen steht immer vehementer infrage“, so Oliver Schwedes. Die Dominanz des Autos werde von Fußgängern und Radfahrerinnen als ungerecht empfunden und die Forderung nach einer neuen, für alle Verkehrsteilnehmenden gerechten Aufteilung des Stadtraums lauter. „Diese Rückeroberung des städtischen Raums durch Nichtautofahrer und der damit einhergehende Entzug eines öffentlichen Stellplatzes oder das Verbot etwa von Stellflächen am und auf dem Gehweg erleben Autofahrer dann wiederum als eine Art Enteignung“, sagt Schwedes und verweist auf das Paper „Die Privatisierung öffentlichen Raums durch parkende Kfz“.

Angesichts der Tatsache, dass Städte vor der Herausforderung stehen, sich gegen Trockenheit und Starkregenereignisse zu wappnen, sei eine weitere Versiegelung von Flächen durch Autoparkplätze anachronistisch. Höhere und breitere Autos stellen laut Huber und Schwedes zudem ein Sicherheitsrisiko für Fußgängerinnen und Radfahrer dar, da sie die freie Sicht auf den Verkehr versperrten.

Verkehrs- und Stadtplanung sollten der Gleichberechtigung aller Mobilitätsformen verpflichtet sein

Aufgrund ihrer Analysen, die auf der Auswertung von Datensätzen des ADAC sowie des Statistischen Bundesamtes basieren, plädieren beide Wissenschaftler für einen Paradigmenwechsel in der Verkehrsplanung. „Die einseitige funktionale Besetzung des öffentlichen Raums durch den fließenden und ruhenden Verkehr beschränkt die Möglichkeiten der Nutzung für Fußgänger, Radfahrende und den ÖPNV massiv oder anders ausgedrückt: Das Gewohnheitsrecht ‚freie Fahrt und freies Parken für freie Bürger‘ beschneidet die Rechte Dritter.“

„Das System Auto bleibt ressourcenzehrend“

Alle Nichtautofahrer sähen sich gezwungen, sich den städtischen Raum zurückerobern zu müssen. „Das ist nicht sozial und nicht gerecht“, betont Oliver Schwedes. Verkehrs- und Stadtplanung müssten der Gleichberechtigung aller Mobilitätsformen verpflichtet sein. Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik bedeute vor allem, diese nicht mehr einseitig aus dem Blickwinkel des motorisierten Individualverkehrs zu denken.

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